"Wir können das Klimaflüchtlingsproblem lösen"
20. Juni 2018DW: Berichte der "Platform of Disaster Displacement" legen nahe, dass große Flüchtlingsbewegungen wegen den sich verändernden Klimabedingungen erst noch kommen, stimmt das?
Rüdiger Glaser: Im Augenblick ist es in der Tat so, dass durch die Klimaänderung sehr viele negative Strukturen wie Armut und Perspektivlosigkeit verstärkt werden. Nach unseren Erfahrungen ist es in der Regel immer ein Bündel von Faktoren, die zu einer Migration führen. Es sind keine Monokausalketten die zu Migration führen.
Wenn sich Probleme in klimatischen Zonen, welche beispielsweise schlechte Ernten herbeiführen, wiederholen, dann ist die Ernährungssicherung und damit die Lebensgrundlage entzogen. Dann beginnen Menschen zu wandern, oft in nahe gelegene Städte - wenn das nicht funktioniert, dann wird die großräumigere Wanderung in Betracht gezogen.
Kann man Ihrer Meinung nach klimawandelbedingte Fluchtursachenherde kategorisieren?
Man kann die potenzielle Verletzlichkeit, die wir in der Labilität von Ländern finden, berechnen. Wir müssen auf einzelne Parameter schauen und entsprechend Regionen identifizieren, wie etwa den Subsaharischen Raum, aus dem momentan sehr viele Flüchtlinge kommen. Wir müssen aber verstehen, dass es in dieser komplexen Situation keine Monokausalitäten gibt.
Kann man abschätzen, wann klimabedingte Flucht ihren Höhepunkt erreichen wird?
Hier kommen zwei Komponenten zusammen, eine davon ist die Bevölkerungsentwicklung. Das heißt, es wird sich grundsätzlich die Frage nach Land, Leben, und anderen wichtigen Grundparametern verschärfen. Die andere Komponente ist der Klimawandel. Da haben wir Szenarien, in denen es immer die Möglichkeit des Gegensteuerns gibt, sodass der Klimawandel in seinen negativen Auswirkungen tatsächlich noch eingefangen werden kann. Wir haben das 1,7-Grad-Ziel der Erderwärmung, bis zu dem wir glauben, dass man den Klimawandel und seine Ursachen einigermaßen in den Griff bekommen kann.
Der „InsuResilience Plan" der G7 Staaten sieht Maßnahmen vor, in denen private Versicherer und Staaten zusammenarbeiten, um im Falle einer Klimakatastrophe schnell und vor Ort helfen zu können. Was halten Sie von diesem Plan?
Klingt gut, wie vieles, was von einer Weltgemeinschaft entworfen wurde. Das Problem Klimawandel kennen wir aber seit 1990. Wir kennen die Ursachen von Armut noch länger, seit den 1950/60er Jahren. Die Menschheit muss ein globales Konzept auch wirklich akzeptieren und umsetzen, um die Probleme in den Griff zu bekommen.
Das bedeutet, es kommt letztendlich auf unsere Motivation an?
Letztlich kommt es darauf an, dass auch die Motivation da ist, sich selbst zu helfen. Man hat jahrzehntelang einige Länder konditioniert, sich auf Hilfe zu verlassen und das hat zu Strukturen geführt, die genau das verhindern.
Was würden Klimabedingte Fluchtursachen für Deutschland bedeuten?
Dass insgesamt der Druck auf Europa zunehmen wird. Für Deutschland würde es bedeuten, dass man den Klimaschutz ernst nimmt. Und, dass man die Klimaziele, die vor fünf bis zehn Jahren in vielen Projekten definiert wurden, wirklich umsetzt.
Man muss die Dinge konsequent zu Ende denken und umsetzen, nur dann hat man die Chance auch weiterhin als Vorreiter zu funktionieren.
Das bedeutet letztendlich, der Stellenwert von Klimapolitik sollte global erhöht werden?
Richtig, die Diskussion haben wir seit Jahrzehnten, wir kennen die Kausalkette und man hat die Bestätigung von Modellen, die zu Beginn noch recht vage waren, inzwischen sehr deutlich. Auch hier in Deutschland haben wir jetzt Starkregenereignisse, die einfach zeigen: Der Klimawandel ist Realität. Wir sind ursächlich mitverantwortlich für den Klimawandel, weil wir im Rahmen unserer Entwicklung Treibhausgase freisetzen und es muss entsprechend mit Anpassungs- und Motivationsmaßnahmen gehandelt werden.
Über was für Maßnahmen sprechen Sie genau?
Wie man beispielsweise die Wälder umbaut, weg von den Wärme- und Dürre empfindlicheren Fichten hin zu einer komplexeren Struktur, die einen natürlichen Vorteil für die Biodiversität darstellt.
Aber wir müssen auch unser Verhalten als Verbraucher mit unseren Ansprüchen ändern, wie das Verlangen nach hoher Mobilität, immer überall billig hinzukommen oder Nahrung aus allen Ecken dieser Welt zu beziehen. Das sind natürlich die Insignien einer Konsumgesellschaft und da muss sich jeder Einzelne auch fragen, ob und wie er daran teilhaben möchte.
Das bedeutet, letztendlich ist die Lösung lokales und nicht globales Handeln.
Es sind globale Probleme geworden, aber sie haben eine lokale Verankerung. Es ist tatsächlich so, dass man schauen muss, wo sind die Brennpunkte und wie wirken sich denn die globalen Phänomene im lokalen Kontext aus.
Der Klimawandel wurde ja vor hundert Jahren mit der industriellen Revolution in den westlichen Staaten begonnen. Die Konsequenzen spüren sie erst 100 Jahre später. Global gesehen haben sie diese Konsequenzen in bestimmten Regionen wie Bangladesch oder dem subsaharischen Raum, die eigentlich nicht zur Industrialisierung beigetragen haben. Das heißt, es gibt ein Auseinanderfallen von Ursache und Wirkung über die Zeit ihrer räumlichen Auswirkungen.
Wenn wir jetzt die Konsequenzen unseres Handelns von vor hundert Jahren spüren, wird das auch in Zukunft so sein?
Das ist in manchen Bereichen so. Zum Beispiel das Problem Mikroplastik. Das wurde schon vor 20 Jahren losgetreten. Wenn wir da nicht gegensteuern, werden wir die Auswirkungen eventuell erst in 60 Jahren bemerken. Es wurden ja sinnvolle Gegenmaßnahmen in vielen Bereichen getroffen. Es ist nicht so, dass wir quasi unerwartet von Dingen eingeholt werden. Denken Sie zum Beispiel an das Waldsterben, da wurde durch die Rauchgasentschwefelung und gesetzliche Verordnungen richtig reagiert.
Prof. Dr. Rüdiger Glaser ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für Physische Geografie an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind Klimageographie, Global Change, Umweltplanung und Digitale Verfahren.
Das Interview führte Leonard Proske