"Wir können hier nicht weg"
29. Dezember 2004INDIEN: Schicksal einer ganzen Inselgruppe ungewiss
Die 13 Inseln der Andamanen und Nikobaren nördlich von Sumatra wurden von der verheerenden Flutwelle besonders in Mitleidenschaft gezogen. Der Armeekommandeur der Inselgruppe, Rakesh Kala, sagte in einem Zeitungsbericht, er gehe von mindestens 10.000 Toten aus. Jeder fünfte der etwa 50.000 Inseleinwohner sei entweder tot oder gelte als vermisst, berichtet auch der Vize-Polizeichef, S. Vasudev Rao, einer Agentur zufolge. "Alles wurde fortgespült. Die Zahl der Toten steigt jeden Tag", sagte Rao. Die meisten der Inseln boten den Einwohnern kaum höher gelegene Zufluchtsorte.
"Die Situation auf einigen der Inseln ist wirklich sehr, sehr ernst", sagte der für die Region zuständige Polizeichef. "Die Menschen haben sich in den vergangenen 60 Stunden von Kokosnüssen ernährt. Aber die Kokosnüsse werden nicht ewig reichen. Wir müssen dringend Nahrung bringen." Bei drei Inseln hätten wegen zerstörter Hafenanlagen bislang keine Schiffe anlegen können. Nahrungsmittel und Wasser würden von Hubschraubern abgeworfen.
Nichts ist mehr, wie es war
Viele der Inseln werden von einheimischen Volksstämmen bewohnt. Um die aussterbenden Stämme zu schützen, durften bislang nur wenige Besucher die Inseln betreten. Jetzt, so befürchten die Behörden, könnten ganze Stämme von den Fluten vernichtet worden sein. Auch die Geographie der Inselgruppen hat sich komplett verändert. Die Insel Trinket sei durch das Beben auseinander gebrochen. "Wo zuvor eine Insel war, sehen wir jetzt zwei. An einer Stelle steht ein Baum ganz allein im Ozean", berichtete der Polizeichef.
Indien hat unterdessen ausländische Hilfen für die Opfer zurückgewiesen. Das Land habe selbst ausreichende Mittel für Hilfsaktionen und könne die Situation allein bewältigen, sagte ein Regierungsbeamter am Mittwoch (29.12.). Sollte die indische Regierung jedoch zu einem späteren Zeitpunkt glauben, auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, werde sie nicht zögern, darum zu bitten. Derzeit sei das Land aber sogar in der Lage, Sri Lanka und die Malediven zu unterstützen. Kriegsschiffe, Hubschrauber und Flugzeuge mit Lebensmitteln und Medikamenten seien auf die Nachbarinseln geschickt worden.
SRI LANKA: Alles verloren
Wie überall in den ehemaligen Siedlungen entlang der Küstenstraße von Sri Lankas Hauptstadt Colombo stehen nur noch wenige Häuser aus Stein - von den Holzhütten blieben lediglich aufgeschichtete Haufen von Balken, Brettern und Wellpappe. Dem 65-jährigen Fischer Andru Perera hat das Meer seine gesamte Existenz entrissen: "Das Boot, die Netze und die Möbel - alles ist im Meer", berichtet Perera, der seit 48 Jahren jede Nacht auf den Indischen Ozean hinausgefahren ist. Seinem Steinhäuschen im rund 30 Kilometer südlich von Colombo gelegenen Wadduwa fehlt die gesamte Front.
Für den 42-jährigen Schreiner Rengith Peris ist der nahe gelegene buddhistische Tempel in Moratuwa die neue Bleibe. Von seiner Ziegelhütte in der Siedlung direkt an der Bahn-Linie Colombo-Matara blieben nur das Dach und das Schlafzimmer stehen. Die Holzhäuser seiner Nachbarn wurden komplett in den Ozean gespült. Ein paar Meter weiter harrt der 26-jährige Indika Fernando wie alle Bewohner der Siedlung im strömenden Regen bei den Trümmern seines Hauses aus. "Wir können hier nicht weg", sagt Fernando. "Sonst kommen andere und besetzen den Platz, Bauholz gibt es ja hier genug", fügt er bitter hinzu.
Riesiges Trümmerfeld
Die Stadt Galle im Süden Sri Lankas hat es besonders hart getroffen. Bis zu eineinhalb Kilometer tief sind die Wassermassen in die Stadt eingedrungen und haben ganze Häuserreihen weggerissen. Auf dem Busbahnhof liegen die großen Fahrzeuge kreuz und quer verteilt auf dem Dach und auf der Seite. Die Straßen sind durch hohe Schuttberge blockiert, darunter liegen noch Leichen.
Zwischen den Trümmern und in den zerstörten Gassen wimmelt es von Menschen, die zwischen den Steinen, Wellblechdächern und umgestürzten Strommasten nach Verwertbarem suchen. "Wir wollen schließlich irgendwann unser Haus und unser Leben wieder aufbauen, aber dafür brauchen wir sicher Hilfe", sagt der 26-jährige Azhar Zanzad. In einem Jutesack hat er Dinge gesammelt, die er aus den Trümmern gewühlt hat: einen Ventilator, das Rücklicht eines Motorrollers und zwei Türscharniere. Ein alter Mann sitzt etwas weiter weg auf einem Stein und begutachtet Armbanduhren, die er aus dem Dreck gefischt hat. (arn)