"Wir sind nicht die Internet-Polizei"
7. Mai 2020Der unabhängige Vorstand, den einige als "Supreme Court" des Unternehmens bezeichnen, wird auch in der Lage sein, Entscheidungen des Konzerns und von Facebook-Chef Mark Zuckerberg zu kippen. Dem mit 130 Millionen Dollar ausgestatteten Aufsichtsgremium sollen künftig 40 Mitglieder angehören. 20 von ihnen stehen fest. Zusammen hätten sie in mehr als 27 verschiedenen Ländern gelebt und würden mindestens 29 verschiedene Sprachen sprechen, erklärte Facebook. Sie würden damit eine "große Bandbreite von Ansichten und Erfahrungen" repräsentieren.
Dem Gremium gehören unter anderen der ehemalige US-Bundesrichter und Religionsfreiheitsexperte Michael McConnell, der Verfassungsrechtler Jamal Greene, die kolumbianische Anwältin Catalina Botero-Marino und die ehemalige dänische Premierministerin Helle Thorning-Schmidt, der ehemalige Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, Andrs Sajé, die jemenitische Aktivistin und Friedensnobelpreisträgerin Tawakkol Karman und der ehemalige Chefredakteur der britischen Zeitung "Guardian", Alan Rusbridger, an.
Die sozialen Netzwerke seien gerade in Krisenzeiten wie der Coronavirus-Pandemie eine große Hilfe für Menschen, so Facebook. Zugleich könnten über das Netz "hasserfüllte, schädliche und betrügerische" Äußerungen verbreitet werden.
"Zum ersten Mal wird ein unabhängiges Gremium endgültige und bindende Entscheidungen darüber treffen, was bleibt und was entfernt wird", betonte Thorning-Schmidt, eine der vier Vorsitzenden des Gremiums. "Das ist eine große Sache. Wir errichten ein neues Modell für die Leitung von Plattformen."
Besonders herausstechende Fälle werden geprüft
Der Co-Vorsitzende Michael McConnell wies darauf hin, das Gremium könne unmöglich alle strittigen Inhalte unter die Lupe nehmen. Es sollten deswegen besonders herausstechende Fälle geprüft werden. Die Entscheidungen des Gremiums könnten dem Online-Netzwerk dann als Leitlinie für ähnlich gelagerte Fälle dienen. "Wir sind nicht die Internet-Polizei", machte er deutlich.
Nutzer sollen das Gremium in der ersten Phase bei einer aus ihrer Sicht ungerechtfertigten Löschung von Inhalten einschalten können. Später soll es auch um die Forderung nach Entfernung von Inhalten anderer Leute oder um gelöschte Gruppen und Facebook-Seiten gehen. Zugleich kann das Unternehmen selbst das Aufsichtsgremium bei diversen Fragen zum Umgang mit Werbung, Gruppen oder Seiten anrufen.
Facebook gibt Nutzern bereits die Möglichkeit, Widerspruch gegen die Löschung von Inhalten beim Online-Netzwerk einzulegen. Das unabhängige Gremium ist als nächste Eskalationsebene gedacht, insbesondere für schwierige oder grundsätzliche Fälle. Der Konzern verpflichtet sich, die Entscheidungen binnen sieben Tagen umzusetzen.
Das Netzwerk steht immer wieder wegen der Verbreitung von Falschnachrichten oder Hassbotschaften in der Kritik.
se/mak (rtr, afp, dpa)