„Wir trinken Affenschwanz zu Weihnachten“
25. Dezember 2014Nicht warm genug für Weihnachten
In der Adventszeit schreibe ich viel Weihnachtspost. Karten und Briefe an Menschen, die mir viel bedeuten. Post geht dann auch an meine zehn Gasttöchter überall auf der Welt, die früher einmal für ein Jahr in unserer Familie gelebt haben. Diese internationalen Töchter kommen von überall her, aus Polen und Kalifornien, aus Tschechien, Rumänien und Chile.
In ihrem Jahr in unserer Gastfamilie gehörte ein Besuch auf einem Weihnachtsmarkt zum Deutschland-Kultur-Programm einfach dazu. Ich wohnte damals mit meiner Familie in Wuppertal und der nächste schöne Weihnachtsmarkt lag bei uns um die Ecke am Lüntenbecker Schloss.
In einem Jahr standen wir mit unserer chilenischen Gasttochter Pamela vor der idyllisch verschneiten Schlosskulisse. Wir sechs, jeder mit einem dampfenden Glas Glühwein in der Hand zwischen den bunten Ständen auf dem Weihnachtsmarkt. Plötzlich hörte ich die halblaute Stimme unserer chilenischen Tochter, in noch etwas gebrochenem Deutsch sagen: „Das fühlt sich verkehrt an! Es stimmt einfach überhaupt nichts!“ Zuerst dachte ich, der Glühwein schmecke ihr nicht. Kein Problem, dachte ich, den muss man ja nicht mögen.
Aber Pamela erklärte uns mit großer Entschiedenheit: „Es fühlt sich nicht richtig an. Bei uns in Chile frieren wir nicht zu Weihnachten. Es ist dann Sommeranfang, 30 Grad im Schatten und die großen Ferien beginnen. Bis spät nachts sind wir im Schwimmbad. Keiner hält sich im Haus auf, alle leben draußen. Und Glühwein trinken wir auch nicht. Wir trinken Affenschwanz.“ Das verblüffte uns wirklich: „Was trinkt Ihr? Affenschwanz?“ Mit ein wenig Wehmut in der Stimme, aber auch mit verhaltenem Stolz beschrieb Pamela uns ahnungslosen Deutschen das Rezept für den chilenischen Weihnachtscocktail Cola de Mono: „Da kommt unser chilenischer Weinbrand Pisco hinein und dann noch Milchkaffee, Zucker, Nelken und Vanille. Eisgekühlter Affenschwanz ist der Hit und schmeckt soooo lecker nach Weihnachten.“
Die Weihnachtsgeschichte zum Reinbeißen
Später zu Hause am Abendbrottisch haben wir uns noch lange gegenseitig von chilenischen und deutschen Weihnachtsbräuchen erzählt. Es war verblüffend, wo in unserer adventlichen Betriebsamkeit plötzlich ein tieferer Adventssinn aufblitzte. Es entstand fast ein kleiner Wettbewerb am Tisch, wer die meisten adventlichen Sitten in Chile oder in Deutschland erklären konnte. Wenn wir nicht mehr weiter wussten half uns der allwissende Laptop aus der Patsche und lieferte uns noch ein paar raffinierte Fingerzeige auf die biblische Weihnachtsgeschichte. Auch unsere eigenen Kinder kannten die Bedeutung vieler deutscher Bräuche nicht. Dass der dick mit weißem Puderzucker bedeckte Christstollen an das in Windeln gewickelte Christkind erinnern soll, hatten sie noch nie gehört. Auch nicht, dass die Plätzchen erfunden wurden, weil sich arme Leute die teuren Zutaten für einen ganzen Weihnachtskuchen einfach nicht leisten konnten. Die Plätzchenbäckerei in den Familien war zu Beginn eine Not-Lösung, eine fantasievolle Weise, um dem Mangel wenigstens zu Weihnachten ein Schnippchen zu schlagen und sich eine kleine, süße Weihnachtsfreude zu gönnen.
Eine unserer Töchter meinte, in der Weihnachtszeit würde eben überall auf der Welt mit Hilfe von Teig, Rosinen, Nüssen und Mandeln die Geschichte von der Geburt in Bethlehem erzählt. An jedem Ort anders, aber überall die gleiche Geschichte. Und Pamela trumpfte auf, bei dem leckeren Weihnachtsgebäck in Chile könne man richtig schmecken, wie wichtig diese Weihnachtsgeschichte für die Chilenen sei. Das sei eine Weihnachtsgeschichte zum Reinbeißen und Genießen.
So hatte ich das noch nie gesehen. Aber sie hatte recht, wenn ich mir all diese Zimtsterne und Lebkuchen, gebackenen Engel und Weihnachtsszenen anschaute. Weihnachten ist wirklich ein leckeres und duftendes Fest mit einer richtig sinnlichen Theologie. Man kann die Freude der Menschen über die Geburt Jesu überall auf der Welt tatsächlich schmecken.
Der Weihnachtskuchen ist auch ein Osterbrot
Auf noch mehr Theologie in gebackener Form machte uns dann Pamela aufmerksam: Der typische Weihnachtskuchen heißt in Chile Pan de Pascua, also Osterbrot. Wenn dieses köstliche Früchtebrot zum chilenischen Festessen auf den Tisch kommt, erinnert das Osterbrot schon zu Weihnachten an das ganze faszinierende Leben Jesu. Vom Baby in Bethlehem bis zum jungen Mann auf Golgatha, von der Krippe bis zum Kreuz, von Weihnachten bis Ostern. Verblüffend, wie Backwaren den Menschen die wirklich wichtigen Geschichten erzählen können.
Übrigens fand Pamela dann das Weihnachtsfest in Deutschland trotz ihres kleinen Heimwehs doch sehr schön, auch wenn es ihr nicht weihnachtlich warm genug war. Und heute, wo sie in Santiago de Chile Medizin studiert? Da fehlen ihr im Advent die deutsche Kälte, der Glühwein und die Weihnachtsplätzchen.
Zur Autorin:
Petra Bosse-Huber ist am 1. Mai 1959 in Velbert geboren. Sie studierte Theologie und Germanistik in Wuppertal und Göttingen, war von 1986 bis 1989 Vikarin und Pastorin in Düsseldorf-Kaiserswerth, ab 1989 Gemeindepfarrerin und Synodalassessorin in Wuppertal. 2001 wurde sie in die rheinische Kirchenleitung gewählt. Bosse-Huber lebt in Wuppertal, ist verheiratet und hat drei erwachsene Töchter. Auf der EKD-Ebene gehört Bosse-Huber der Steuerungsgruppe des kirchlichen Reformprozesses und der Kammer für Theologie an. Zudem engagiert sie sich im ökumenischen und interreligiösen Gespräch, etwa im Ausschuss "Kirche und Judentum" sowie in der Kommission für den Dialog mit der russisch-orthodoxen Kirche. Seit November gehört Bosse-Huber dem Zentralausschuss des Weltkirchenrates an und seit Dezember Auslandsbischöfin der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Verantwortlicher Redakteur: Pfarrer Christian Engels