Wirbel um Gabriels Türkeiwarnung
25. August 2017Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) liefert sich schon seit Wochen einen verbalen Schlagabtausch mit der türkischen Regierung. Jetzt sagte er der "Bild-Zeitung", Bundesbürger müssten sich genau überlegen, ob sie in die Türkei reisen wollten. Derzeit könne man das "nicht mit guten Gewissen machen". Insbesondere Journalisten seien der Gefahr ausgesetzt, verhaftet zu werden. Aber man könne etwa auch als langjähriger deutscher Türkei-Reisender Probleme bekomme, wenn etwa der Hotelbesitzer in Verdacht stehe, Anhänger der Gülen-Bewegung zu sein.
Selbst Ministerin Özoguz traut sich nicht
Der Zeitungsbericht hat nach Auskunft des Auswärtigen Amtes schon zu zahlreichen Anrufen besorgter Bürger im Krisenreaktionszentrum des Auswärtigen Amtes in Berlin geführt. Gabriels Sprecherin Maria Adebahr stellte am Freitag klar: "Wir haben keine Reisewarnung ausgesprochen und planen das auch nicht." Reisewarnungen werden in der Regel nur ausgesprochen, wenn etwa durch Kriege oder Naturkatastrophen eine unmittelbare Bedrohung in dem Reiseland besteht. Solche offiziellen Warnungen können auch rechtliche Konsequenzen haben. Für die Türkei hat die Bundesregierung zuletzt ihre Reisehinweise verschärft und dabei die offenbar willkürlichen Festnahmen deutscher Staatsbürger in der Türkei erwähnt.
Selbst Regierungsmitglieder fühlen sich nicht mehr sicher. So sagte die türkisch-stämmige Integrationsbeauftragte, Staatsministerin Aydan Özoguz, in einem Interview von "Zeit-Online", sie traue sich nicht, in die Türkei zu reisen: "Mir wird nach wie vor davon abgeraten." Deshalb habe sie auch ihre Familie seit längerer Zeit nicht sehen können. "Ich kenne viele, die diese Situation genau wie mich sehr belastet", fügte Özoguz hinzu.
Mit hohem Tempo weg von Europa
Auch wenn die Worte Gabriels keine offizielle Reisewarnung darstellen: An Klarheit mangelt es ihnen nicht. Unter Präsident Erdogan entferne sich die Türkei "mit rasender Geschwindigkeit von all dem, was Europa ausmacht", so Gabriel. Dazu passten denn auch die Meldungen, die am Freitag aus der Türkei selbst kamen: 900 Menschen wurden ihre Stellen bei öffentlichen Institutionen, beim Militär und in Ministerien gekündigt. Auch ihnen wird - wie eigentlich immer in ähnlichen Fällen in der Vergangenheit - vorgeworfen, Kontakte zur Gülen-Bewegung zu haben.
Erdogan sieht in seinem einstigen Weggefährten Gülen den Drahtzieher des Putschversuches im vergangenen Jahr. Seitdem wurden mehr als 150.000 Menschen entlassen oder vom Dienst suspendiert. Etwa 50.000 kamen ins Gefängnis. Außerdem wurde jetzt der Geheimdienst MIT, der bisher dem Ministerpräsidenten unterstand, dem Präsidenten unterstellt. Erdogan leitet künftig auch eine neu ins Leben gerufene Institution, das "Nationales Geheimdienstkoordinierungskomitee". Und, wahrscheinlich am wichtigsten: Der Geheimdienst erhält das Recht, gegen Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums und der Streitkräfte zu ermitteln.
Außenminister Gabriel war von Präsident Erdogan selbst, aber auch anderen Politikern der Regierungspartei AKP in den letzten Wochen offen attackiert worden. Der SPD-Politiker war selbst von Präsident Erdogan, aber auch anderen Politikern der Regierungspartei AKP offen attackiert worden. So hatte der türkische EU-Minister Ömer Celik Gabriel und dessen österreichischem Kollegen Sebastian Kurz unter anderem vorgeworfen, von "Rassisten" zu kopieren. Dazu sagte Gabriel am Freitag in der Talkshow des "Zweiten Deutschen Fernsehens" (ZDF) "Maybritt Illner": "Es ist ganz gezielt der Versuch, einen äußeren Feind zu stilisieren, um die inneren Widersprüche in der Türkei zu überdecken. Das ist der Versuch, sich einen Buhamm, nämlich Deutschland, zu suchen."
Röttgen: "Nicht Erdogans Spiel mitmachen!"
Nicht überall im Regierungslager finden sich Freunde für den verbal harten Kurs Gabriels gegenüber der Türkei. Zwar hat auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Verhaftungen Deutscher in der Türkei kritisiert. Aber bei "Maybritt Illner" sagte etwa der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Norbert Röttgen von der CDU: "Die Bundeskanzlerin spricht eine ganz andere Sprache als andere. Ich halte das nicht für richtig, dass wir das Spiel von Erdogan mitmachen."
Schicksal der Inhaftierten weiter ungewiss
Erdogan hatte zuletzt gesagt, die Regierungsparteien CDU, CSU und SPD sowie die Grünen seien für wahlberechtigte Türken in Deutschland nicht wählbar. Sie seien Feinde der Türkei. Das hatte wiederum Gabriel, aber auch die Kanzlerin als unerwünschte Einmischung zurückgewiesen.
Und bedrückend ist nach wie vor das Schicksal der in der Türkei Inhaftierten. Gabriel glaubt zur Zeit nicht an eine rasche Freilassung: "Die Chance ist nicht sehr groß, wenn man ehrlich ist. Sie werden festgehalten, ohne dass es dafür einen Grund gibt."