Für immer im Irak?
3. Juni 2008"Niemals wird der Irak eine amerikanische Kolonie sein!", so stand es vergangenen Freitag auf den Plakaten der Demonstranten (30.5.2008) im südirakischen Kufa. Dort und in anderen Städten protestierten tausende Iraker nach dem Freitagsgebet gegen den langfristigen Sicherheitsvertrag zwischen den USA und ihrem Land. An vorderster Front: schiitische Kleriker, wie deren geistliches Oberhaupt, Großajatollah Ali al-Sistani, oder der junge Prediger und US-Widersacher Muktada al-Sadr. Durch den Pakt verliere der Irak seine Souveränität, so der Tenor. Die Protest-Aktionen sollen ab sofort jeden Freitag stattfinden.
Aus für UN-Mandat
Seit Juni 2004 verfügen die US-geführten Koalitionstruppen im Irak über ein UN-Mandat, das die internationale Militärpräsenz regelt. Dieses Mandat wurde auf Bitten der irakischen Regierung seitdem jährlich verlängert, doch Ende 2008 läuft es endgültig aus.
Washington verhandelt deshalb mit Bagdad seit März dieses Jahres über ein bilaterales Abkommen, das die langfristigen Beziehungen im Allgemeinen und die rechtlichen Grundlagen der zukünftigen Truppenstationierung im Besonderen klärt. Iraks Premier Maliki will das Werk bis Ende Juli unterschriftsreif machen, damit genug Zeit für eine Ratifizierung im Parlament bleibt. Ähnliche Abkommen, sogenannte "Status-of-forces-agreements" (Sofas), unterhalten die USA mit rund 70 Staaten. Darin werden Gerichtsbarkeit, Finanzierung sowie Einsatzziele und -grenzen der im Gastland stationierten Truppen geregelt.
Für immer im Irak?
Im Ganzen noch unbekannt, sorgen duchgesickerte Wünsche Washingtons aus einem ersten Vertragsentwurf bereits für Entrüstung. Zum einen möchten die Amerikaner, dass ihren Soldaten weiterhin Immunität zugesichert wird und diese nicht der irakischen Gerichtsbarkeit unterstehen. Außerdem wollen sie freie Hand bei Militäreinsätzen und die Autorität, "bei dringenden Sicherheitsbedrohungen" Personen festnehmen zu können. Nach einem Bericht der britischen Zeitung "The Guardian" sollten die US-Truppen darüber hinaus zeitlich unbefristet stationiert und auch deren Zahl nicht festgelegt werden. Gleichwohl bestreiten US-Vertreter, eine Militärbasis einrichten zu wollen.
Widerstand von allen Seiten
Nicht nur schiitische Geistliche fürchten um die Souveränität ihres Landes. Der irakische Regierungssprecher Ali al-Dabbagh bestätigte Differenzen zwischen den verhandelnden Delegationen. Sein Land werde keinen Artikel akzeptieren, der irakischen Interessen zuwiderlaufe. Iraks Botschafter in Washington, Samir al-Sumaidaje, störe sich am Wort "langfristig", berichtet die Berliner Zeitung. Ein derartiges Abkommen lasse sich durchaus auf zwei Jahre begrenzen. Ex-Premier al-Jaafari sprach gar von einer Schande. Und Irans neuer Parlamentspräsident Ali Laridschani empfahl den Irakern dem Vertrag zu widerstehen.
Nicht nur im Zweistromland werden die Verhandlungen mit Argusaugen verfolgt. Weil die US-Regierung glaubt, dass das Abkommen nicht vom Kongress gebilligt werden muss, schlagen auch dort die Wellen der Empörung hoch. Die demokratischen Anwärter aufs Weiße Haus, Hillary Clinton und Barack Obama sind bekanntlich für einen raschen Truppenabzug aus dem Irak. Clinton beschuldigte die Regierung deshalb, der künftigen Aministration mit dem Vertrag die Hände zu binden. Der demokratische Senator Edward Kennedy fordert, der Vertrag müsse allein deshalb ratifiziert werden, weil er viel weiter gehe als vergleichbare Statute.
Experte: Noch ist nichts beschlossen
Der Politologe Markus Kaim, Spezialist in Sachen US-amerikanische Irak-Politik, sieht das Grundproblem der derzeit bekannten Vertragsdetails in folgendem Widerspruch: Auf der einen Seite wollten die USA eine souveräne irakische Regierung mit Verfügungsgewalt über den gesamten Staat. Andererseits sollen amerikanische Soldaten laut Abkommen irakische Bürger in Krisensituationen verhaften können.
Die Lösung liegt für den Deutschen, der zurzeit Gastprofessor im kanadischen Toronto ist, in der zeitlichen und rechtlichen Beschränkung amerikanischer Befugnisse. "Man könnte festlegen, dass US-Soldaten in einer akuten Kampfsituation irakische Zivilisten verhaften dürfen, sie aber in einer bestimmten Frist an die irakischen Behörden übergeben müssen", schlägt Kaim vor. Bei bestimmten Delikten könnte die Gerichtsbarkeit des US-Militärs irakischen Gerichten unterliegen. Auch zeitlich lasse sich das Abkommen auf zwei oder mehr Jahre eingrenzen, mit einer automatischen Verlängerung, sollte nicht eine der Parteien den Vertrag kündigen. Laut Kaim ist dies ein übliches Verfahren in internationalen Verträgen. "Angesichts der Proteste im Irak und in Washington könnte ich mir aber durchaus vorstellen, dass die Bush-Administration vielleicht an der einen oder anderen Stelle noch ein gewisses Entgegenkommen zeigen wird", gibt sich der Politikwissenschaftler optimistisch.