Vom linken Rebellen zum Präsidenten?
30. Mai 2022Gustavo Petro lag klar vorne: Der frühere Guerrillero und ehemalige Bürgermeister der Hauptstadt Bogotá erhielt im ersten Wahlgang der kolumbianischen Präsidentenkür 40,3 Prozent der Stimmen, wie die Wahlbehörde nach der vorläufigen Auszählung fast aller Wahllokale mitteilte. Dagegen konnte sich der parteilose Kandidat Rodolfo Hernández mit 28,1 Prozent der Stimmen erst spät gegen den konservativen Favoriten Federico Gutierrez durchsetzen. Die beiden stärksten Bewerber treffen am 19. Juni in der Stichwahl aufeinander.
"Heute geht es um den Wandel", sagte Petro nach der Veröffentlichung der Wahlergebnisse. "Eine Ära geht zu Ende. Jetzt geht es darum, die Zukunft zu gestalten." Setzt sich Petro auch in der zweiten Runde durch, würde erstmals in der jüngeren Geschichte des südamerikanischen Landes ein Linker in den Regierungspalast Casa de Nariño in Bogotá einziehen.
Kolumbien ist konservativ geprägt
Kolumbien ist traditionell konservativ geprägt. Zwar ist die soziale Ungleichheit enorm, bislang war linke Politik durch die Gewalt der Guerillagruppen im jahrzehntelangen Bürgerkrieg allerdings diskreditiert.
Der millionenschwere Bauunternehmer Hernández war Bürgermeister der Großstadt Bucaramanga, verfügt aber über wenig Beziehungen im politischen Bogotá. Er ist angetreten, um die Korruption zu bekämpfen - allerdings laufen derzeit Ermittlungen wegen des Vorwurfs der Bestechung gegen ihn. Hernández bestreitet die Anschuldigungen und sagt, sie zielten darauf ab, seine Präsidentschaftskandidatur zu behindern. Der Populist verspricht im Falle eines Wahlsiegs neben dem entschlossenen Kampf gegen Korruption eine schlanke Regierung. Der derzeitige konservative Staatschef Iván Duque durfte nicht mehr antreten, weil die Verfassung eine Wiederwahl nicht vorsieht.
Eine Afrokolumbianerin wird Vizepräsidentin
Petro und Hernández zogen jeweils mit afrokolumbianischen Kandidatinnen für das Amt der Vizepräsidentin in den Wahlkampf. Francia Márquez an der Seite von Petro ist Menschenrechtsaktivistin und Umweltschützerin aus der von der Gewalt besonders betroffenen Region Cauca. 2018 wurde sie für ihren Kampf gegen illegale Goldminen in ihrer Heimat mit dem renommierten Goldman-Preis ausgezeichnet.
Hernández' Vizekandidatin Marelen Castillo hingegen kommt aus dem Universitätsbetrieb. Die 53-jährige Wissenschaftlerin aus Cali studierte zunächst Biologie und Chemie, machte später einen Master als Industrieingenieurin und erwarb in den USA einen Doktortitel in Erziehungswissenschaften. Bevor sie sich als Vizekandidatin bewarb, führte sie zwei katholische Privatuniversitäten.
Kolumbien litt über Jahrzehnte unter einem blutigen Bürgerkrieg zwischen linken Rebellen, rechten Paramilitärs und staatlichen Sicherheitskräften. 220.000 Menschen kamen ums Leben, Millionen wurden vertrieben. 2016 schloss die Regierung einen Friedensvertrag mit der linken FARC-Guerilla, die Hoffnung auf einen Aufschwung war groß. Doch die Gewalt ist vor allem in ländlichen Gebieten zurückgekehrt. 300.000 Polizisten und Soldaten waren am Sonntag im Einsatz, um Wähler, Wahlhelfer und Kandidaten zu schützen.
Petro will marktliberales Wirtschaftsmodell ändern
Der künftige Staatschef von Kolumbien steht vor enormen Herausforderungen. Das nach Brasilien zweitbevölkerungsreichste Land sowie der wichtigste Verbündete der USA in Südamerika leidet unter den Folgen der Corona-Pandemie, Inflation, sozialer Ungerechtigkeit und Gewalt. Petro will im Falle eines Wahlsiegs das marktliberale Wirtschaftsmodell verändern, die Steuern für Unternehmen erhöhen und die Ausbeutung der Bodenschätze zurückfahren.
Über die Pläne des bislang weitgehend unbekannten Kandidaten Hernández hingegen ist recht wenig bekannt. "Heute hat das Land der Berufspolitiker und der Korruption verloren", sagte der 77-Jährige. "Heute haben die Banden verloren, die glaubten, für immer an der Macht zu sein. Heute haben die Bürger gewonnen, heute hat Kolumbien gewonnen."
nob/se (dpa, afp, rtr)