Wird Facebook zum "Fakebook"?
29. April 2019Der Post von "Reconquista Nordschwaben" vom 10. April ist bei Facebook immer noch abrufbar. "Grüne starten authentisch in den Europawahlkampf 2019" steht dort, darunter sind Bilder eines Wahlkampfbüros in Donauwörth zu sehen, das Plakate zieren: "Nazis bekämpfen mit allen Mitteln", liest man auf einem, "Tod dem weißen, deutschen Mann" auf dem anderen. Es handelt sich um Fakes, um Fälschungen, mit denen die Grünen diffamiert und ihre Wähler verunsichert werden sollen - die physischen Plakate wurden am selben Abend entfernt, nur im Netz finden sie sich noch.
Wer den erwähnten Beitrag jedoch bei Facebook teilen will, erhält die Warnung, "dass er von Correctiv und dpa-Faktencheck angezweifelt wird". Die beiden Medienunternehmen sind zwei von laut Facebook mehr als 40 Partnern in Europa, die fragwürdige Inhalte überprüfen, die in dem sozialen Netzwerk verbreitet werden.
Das Beispiel aus Bayern ist nur eines von vielen. So wird mit Desinformation gezielt versucht, die politische Meinung von Bürgerinnen und Bürgern zu beeinflussen. Wie effektiv das tatsächlich ist, darüber gibt es noch keine validen Erkenntnisse. Zumindest kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass Wahlen mit gezielten Kampagnen beeinflusst werden.
In vier Wochen wählen Bürger aller EU-Staaten ein neues Europäisches Parlament, in dessen Amtszeit so viele wichtige Entscheidungen und Ereignisse fallen, dass man zurecht von einer Richtungswahl für die Zukunft der EU sprechen kann. Als Drehscheibe für Desinformation stehen besonders die Plattformen des Facebook-Konzerns im Fokus, die viele Millionen Europäer nutzen.
Das böse Erwachen nach den US-Wahlen
"Wir sind 2016 mit dem US-Präsidentschaftswahlkampf relativ schlecht in das Thema gestartet", bedauerte Semjon Rens von Facebook während einer Diskussion beim "Europacamp" der Zeit Stiftung in Hamburg. Inzwischen dokumentiert auch der Bericht des Sonderermittlers Robert Mueller, dass russische Akteure wie die Internet Research Agency (IRA) das soziale Netzwerk zur Desinformation missbraucht hatten, zugunsten des aus russischer Sicht genehmeren Kandidaten Donald Trump.
Seitdem habe Facebook Teams mit vielen Mitarbeitern aufgebaut, um Desinformation zu bekämpfen, so Rens, der als Public Policy Manager bei Facebook für Deutschland, Österreich und die Schweiz zuständig ist. Dabei sei eine Herausforderung gewesen, die richtigen Ansprechpartner in den einzelnen Ländern zu finden - während das deutsche Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik recht schnell für das Thema sensibilisiert gewesen sei, gestalte sich die Suche nach einem Ansprechpartner in anderen Ländern zäher.
Geldgeber von Parteienwerbung offenlegen
Europa ist auch nach jahrzehntelanger Vereinheitlichung von Standards in der EU politisch immer noch wesentlich komplexer als die USA, in denen vieles von Kalifornien bis New York einheitlich geregelt ist.
"Wir haben es mit komplett unterschiedlichen Wahlrechtssystemen in 28 Mitgliedsstaaten zu tun", sagt Rens auf die Frage, weshalb die sogenannte Werbebibliothek erst wenige Wochen vor der Wahl an den Start ging. Sie ist eine von mehreren Maßnahmen, mit denen Facebook es seinen Nutzern leichter machen will, die politischen Interessen nachzuvollziehen, die sich hinter Plattforminhalten verbergen: Wenn politische Akteure Werbeanzeigen schalten, soll direkt darüber stehen, wer dafür wie viel bezahlt hat.
"Das ist ein Schritt in die richtige Richtung", so Alexander Sängerlaub während der Diskussion. Er forscht bei der Stiftung Neue Verantwortung in Berlin zu digitaler Desinformation. "Da sind wir alle gespannt, wie es funktioniert."
Facebook setzt den Forschern Grenzen
Allerdings sind die von Parteien geschalteten und bezahlten Werbeanzeigen nur eine von vielen Kategorien politischer Inhalte - und bei den meisten von ihnen bleibt der Zugriff beschränkt. Zwar könne man Seiten, die vermutlich Desinformation betreiben, einzeln analysieren. Das allein reiche jedoch nicht, so Sängerlaub: "Bei Desinformationskampagnen ist oft gar nicht klar, welche Akteure da mit welchen Botschaften unterwegs sind." Er fordert, dass Wissenschaftler einen Zugriff zu allen öffentlichen Postings erhalten sollten, mit dem sie größere Datenmengen systematisch durchsuchen können.
Eine solche Schnittstelle hatte Facebook geschlossen, nachdem 2017 im Cambridge Analytica-Skandal bekannt geworden war, dass persönliche Daten von Millionen Nutzern weitergegeben wurden. Inzwischen gestattet Facebook nach Aussage von Semjon Rens zwar wieder Wissenschaftlern Zugriff - allerdings ist nicht immer nachvollziehbar, wie diese Forscher ausgewählt werden. "Zu den Europawahlen sind wir im Blindflug unterwegs", beklagt Alexander Sängerlaub. "Da wird schwierig sein, herauszufinden, wie viel wirklich an Desinformation unterwegs war."
Wesentlich schwieriger als bei Facebook und Instagram ist die Nachverfolgung von Fakes in der dritten großen App des Konzerns, dem Messenger Whatsapp. "Whatsapp ist Ende-zu-Ende verschlüsselt, das heißt die Daten sind nicht bei Facebook gespeichert", so Facebook-Vertreter Rens.
"Wenn wir über Datenschutz reden, finden das viele toll, bei Parlamentswahlen halten es plötzlich viele für eine Bedrohung." Das müsse eine grundsätzliche Debatte über das Verhältnis von Sicherheit und Privatsphäre klären. Vor den Präsidentenwahl in Brasilien diente Whatsapp beispielsweise als Verbreitungskanal für Desinformation, seitdem wurden Weiterleitungsfunktionen eingeschränkt. Allerdings hat der Messenger in Brasilien eine andere Rolle als in Deutschland: "Whatsapp ist für die Europaparlamentswahl noch nicht so wichtig", erklärt Rens.
Wer postet die Fakes?
Manipulierte oder erlogene Informationen werden unter anderem von Fake-Profilen in Umlauf gebracht, also vermeintlich realen Personen, hinter deren Account in Wahrheit jemand anderes steckt. Facebook lösche immer wieder solche Profile, beteuert Rens. Genaue Zahlen in Bezug auf die Europawahl nennt er auch auf Nachfrage nicht. Er dämpft jedoch die Erwartungen: "Wir werden nie schaffen, alle Fake Accounts von unserer Seite zu löschen."
Allerdings ist Desinformation keineswegs auf ausländische Trollfabriken beschränkt, sondern findet sich auch in konventionellen Medien. Ein Beispiel dafür ist der inzwischen diskreditierte Brandbrief von etwa 100 Lungenärzten zur Gesundheitsgefährdung durch Dieselmotoren, den das Boulevardblatt "Bild" ohne journalistische Plausibilitätsprüfung verbreitete. Auch auf der Straße findet Desinformation statt; hier sind mehrere EU-feindliche Plakatkampagnen des ungarischen Präsidenten Viktor Orban zu nennen.
Am Ende liegt es also nicht zuletzt in der Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger, sich nicht instrumentalisieren zu lassen und kritisch zu hinterfragen, wem man welche Information glaubt - oder nicht. Das gilt bei Facebook, aber auch offline.