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Wirtschaft braucht neue Impulse

24. August 2009

Haiti ist schon lange ein Synonym für die Dauerkrise, dabei galt der kleine Staat lange als die Perle der Antillen. Doch die fehlende Infrastruktur steht der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes im Weg.

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Bild: Peter Deselaers

Markt in Fond Tortue, einem kleinen Ort im Südwesten Haitis. Entlang der einzigen Straße haben Bauern und Händler aus der ganzen Region Platz genommen und auf Plastikplanen ihre Waren ausgebreitet: Hosen und T-Shirts aus europäischen Kleidercontainern, Kaffee aus der Dominkanischen Republik, Zucker aus Lateinamerika, Reis aus den Vereinigten Staaten – all das zu US-amerikanischen Preisen. Alles, was nicht leicht verderblich ist, wird in Haiti importiert. Die haitianischen Zuckerfabriken zum Beispiel sind längst geschlossen, so dass das haitianische Zuckerrohr erst exportiert und der fertig verarbeitet Zucker dann wieder importiert wird.

Haiti Marktstand in Fond Tortue in Südwest-Haiti
Markt in Fond Tortue in Südwest-HaitiBild: Peter Deselaers

Nur in die entgegengesetzte Richtung funktioniert das nicht. Saint-Cyr Manève baut hinter seinem Haus Yam, Bananen und Mais an, mit Händen, Spaten und Machete. "Von den Erträgen kann ich gerade so meine Familie ernähren. Aber die Sachen wo anders zu verkaufen, in einer anderen Region, oder sogar im Ausland, das geht nicht."

Schuld ist die Straße. Von Manèves kleinem Acker hinter seinem Haus bis in die Hauptstadt, Port-au-Prince sind es nur 250 Kilometer – doch in Haiti entspricht das 12 Stunden Autofahrt auf einer Straße, die mehr aus Schlaglöchern als aus einer intakten Betondecke besteht. Bis die Bananen am Hafen von Port-au-Prince, dem einzigen, der noch in größerem Stil genutzt wird, angekommen sind, sind sie Matsch – und für den ausländischen Markt nicht mehr interessant.

Keine Kredite für den Mittelstand

Das Ausland kauft Haiti nicht nur keine Waren ab, es hat auch Angst davor, dort zu investieren. Denn Haiti gilt als instabil, trotz der massiven Präsenz der UN-Blauhelme im Land. Die konnten Entführungen und Bandenkriminalität zwar deutlich eindämmen, die Wirtschaft ankurbeln können die aber auch Minustah-Truppen nicht.

Lokale Fabriken oder solide Mittelstandsbetriebe sind eine Ausnahme. Es gibt in Haiti eine Brauerei, eine Distillerie, ein bisschen Textilverarbeitung und eine Zementfabrik – wenig für ein Land mit rund zehn Millionen Einwohnern. Die meisten anderen Firmen kriegen von den Banken nicht einmal einen Kredit, um ihre Betriebe nach Jahren der Duvalier-Diktaturen von „Papa Doc“ und "Baby Doc" und den darauffolgenden politischen Umstürzen wieder auf Vordermann zu bringen. Und wenn doch, dann liegen die Zinsen bei mehr als 30 Prozent.

Klaus Dieter Handschuh, Leiter des EU-Projekts PRIMA in Port-au-Prince, Haiti
Klaus Dieter Handschuh leitet das EU-Projekt PRIMA in Port-au-PrinceBild: Peter Deselaers

Klaus Dieter Handschuh, der in Port-au-Prince ein Wirtschaftsprojekt der Europäischen Union namens PRIMA leitet, kennt die Probleme der lokalen Unternehmer. "Sobald sie in den Export gehen müssen sie schon zu den größeren Familien gehören, die das Land regieren. Das sind höchstens fünfzig Familien, die Import und Export kontrollieren.“ Die seien lange etabliert, haben Besitztum und sind deshalb kreditwürdig. Ein normaler Mittelstandsbetrieb, der mit zunehmender Stabilität im Land ein bisschen in die Zukunft schauen und expandieren möchte, der könne sich das nicht leisten, sagt Roos. PRIMA hat deshalb Genossenschaftsbanken nach dem Vorbild der deutschen Raiffeisenbanken mit aufgebaut, die den Kleinunternehmern leichteren Zugang zu Finanzdienstleistungen ermöglichen.

"Der eine weiß nicht, was der andere tut"

PRIMA unterstützt auch die Handelskammern von Haiti. Die waren lange Jahre nur in den großen Städten vertreten und untereinander zerstritten. Doch jetzt sprechen die einzelnen Kammern inzwischen mit einer Stimme, berichtet Handschuh. "So können sie auch ihre Bedürfnisse gegenüber dem Staat und der Verwaltung viel besser artikulieren.“ Denn das Verhältnis zwischen Privatsektor und Staat ist schwierig. "Wir haben Gesprächsrunden zum Beispiel mit dem Zoll, den Steuerbehörden und den Unternehmern organisiert. Bislang war es so, dass da der eine nicht weiß, was der andere tut.“ Informationsstrukturen in Gang bringen und Vertrauen zwischen Staat und Wirtschaft aufbauen, darin sieht Handschuh eine der wichtigsten Aufgaben des Projekts.

Doch die meisten haitianischen Unternehmer gehören zum informellen Sektor. Der erwirtschaftet zwar rund zwei Drittel des Bruttoinlandsprodukts und ist sogar in einem eigenen Berufsverband organisiert. Aber Straßenhändler und Marktfrauen stehen weder im Grundbuch noch haben sie Geschäftsberichte und zahlen keine Steuern. Und damit hat der Staat kein Geld, um die dringend benötigte Infrastruktur aufzubauen - ein Teufelskreis, aus dem Haiti nicht so leicht hinauskommen wird.

Strom dank Hugo Chávez

Wilbrode Béon, Leiter der Handelskammer von Nord-Haiti, Cap Haitien, Haiti
Wilbrode Béon, Leiter der Handelskammer in Cap HaitienBild: Peter Deselaers

Wilbrode Béon, Leiter der Handelskammer von Nord-Haiti, beklagt vor allem das mangelnde Bildungsniveau vieler Haitianer. Die Schulen und Universitäten würden völlig am Bedarf des Marktes vorbei ausbilden. "Unsere Studenten sind Experten darin, Lebensläufe zu verfassen, um damit bei irgendeinem Ministerium in der Warteschlange zu stehen“, sagt er mit einem bitteren Lächeln. Stattdessen sollten sie eher Sprachen lernen oder Informatik, fordert Béon.

Den größten potentiellen Konjunkturmotor sieht Béon im Servicebereich. Zusammen mit einer Stärkung des Tourismus und der Landwirtschaft könnte der für den dringend nötigen wirtschaftlichen Aufschwung in Haiti sorgen. Doch damit Touristen nach Haiti kommen und internationale Firmen ihre Callcenter auf der ehemaligen Perle der Antillen ansiedeln, müsste erstmal die Infrastruktur modernisiert werden.

Jeder Betrieb hat hier sein kleines privates Kraftwerk, denn die wenigsten Gebäude sind an das staatliche Stromnetz angeschlossen. Manche Hotels müssen bis zu 100.000 US-Dollar im Jahr für Strom ausgeben. Wettbewerbsfähig sind sie damit nicht.

Mehr als 20 Millionen Euro an Hilfsgeldern fließen allein aus Deutschland jährlich nach Haiti. Doch nicht immer kommt das Geld auch da an, wo es gebraucht wird. Eigentlich müsste es vor allem in die Infrastruktur gesteckt werden, findet Wilbrode Béon. "Stattdessen finanzieren viele NGO's ständig Studien, Kolloquien, Seminare, und Diskussionsrunden. Das ist ja schön und gut, aber wir brauchen konkrete Projekte.“ So wie zum Beispiel die Instandsetzung des Stromnetzes von Cap-Haitien, der zweitgrößten Stadt des Landes, im Norden von Haiti. "Wir haben jetzt fast immer Strom, dank Hugo Chávez“, freut sich der Leiter der Handelskammer über die Entwicklungshilfe aus Venezuela.

Von der Perle zur Müllkippe der Antillen

Ansonsten ist Béon die internationale Gemeinschaft aber oft ein Dorn im Auge. Denn fast alle europäischen Staaten und die USA haben eine Reisewarnung für Haiti ausgesprochen. Das Land sei nach wie vor sehr instabil, warnen sie. Damit machen sie jede noch so kleine Chance Haitis auf den Tourismus zunichte, sagt Béon. Dabei hat das Land eigentlich alles, was es für eine positive Entwicklung braucht: Sonne fast das ganze Jahr, historische Burgen, Meer, Palmen und Strände, die zu den schönsten der Region zählen könnten, würden sie nicht als Müllkippe missbraucht. "Wenn Länder wie Deutschland, Frankreich, USA, Kanada, die sich Freunde Haitis nennen, wenn sie das wirklich sind, dann müssen sie das beweisen und uns helfen, das wirkliche Bild des Landes zu vermitteln“, regt sich der sonst so nüchterne Ökonom Béon auf.

Ein ausländisches Unternehmen hat in den letzten Jahren übrigens doch erfolgreich in den haitianischen Markt investiert: Digicel, ein Mobilfunkunternehmen – kein Wunder, denn das Festnetz ist staatlich und funktioniert nur gelegentlich. Inzwischen hat fast jeder Haitianer ein Handy - auch wenn es nur selten Strom gibt, um den Akku zu laden.

Autorin: Sarah Mersch
Redaktion: Mirjam Gehrke