Alle planen für den "Grexit"
13. Juni 2012Mitte Mai räumte EU-Handelskommissar Karel de Gucht erstmals ein, dass sowohl die Europäische Zentralbank als auch die EU-Kommission an Notfallplänen arbeitet, "für den Fall, dass es Griechenland nicht schafft". Was ihm prompt einen Rüffel von Währungskommissar Olli Rehn einbrachte: "Karel de Gucht ist für Handel zuständig. Ich bin für Finanz- und Wirtschaftsangelegenheiten und die Beziehungen zur EZB zuständig. Wir arbeiten nicht am Szenario eines griechischen Austritts."
Andere sind da ehrlicher. "Wenn sich die Notenbanken und Unternehmen nicht auf ein solches Szenario vorbereiten, wäre dies ein schwerer professioneller Fehler", sagt zum Beispiel Belgiens Vize-Regierungschef Didier Reynders. Allerdings räumt auch er ein: "Es gibt auf der europäischen Ebene keine geordnete Diskussion, was in so einem Fall zu tun ist." Jedoch soll eine Arbeitsgruppe der Euro-Länder EU-Kreisen zufolge die Regierungen aufgefordert haben, nationale Notfallpläne für den Fall eines Abschieds Griechenlands aus dem Euro auszuarbeiten.
So will die Nachrichtenagentur Reuters erfahren haben, dass hohe Beamte der Euro-Gruppe in den vergangenen sechs Wochen in Telefonkonferenzen diverse Maßnahmen erwogen haben, ohne jedoch konkrete Beschlüsse gefasst zu haben. Zu den Überlegungen gehörten die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen, die vorübergehende Außerkraftsetzung des Schengener Abkommens, das die Reisefreiheit ohne Grenzkontrollen garantiert, und die Beschränkung von Barabhebungen an Geldautomaten.
Run auf die Banken?
Die Banken in Euroland scheinen jedenfalls gut beraten zu sein, für den Fall der Fälle genügend Liquidität vorzuhalten. Herbert Stepic, Chef der Wiener Raiffeisen Bank International, erklärt, warum: "Ein Austritt des kriselnden Mittelmeerlandes aus der Euro-Zone hätte einen heißen Sommer, starke Volatilitäten auf den Finanzmärkten, extreme Schwankungen der Börsenkurse" zur Folge. Banken würden einander wieder stärker misstrauen und letztlich würden auch Privatleute um ihr Geld bangen.
"Das, wovor sich alle Banken fürchten müssen, ist die Verunsicherung des privaten Sparers. Das führt dazu, dass der bei der Bank anklopft und sagt, ich möchte mein Geld sehen." Deshalb habe sich sein Institut ein Liquiditätspolster von rund 25 Milliarden Euro angelegt.
Auch die Europäische Zentralbank wird vermutlich ähnliche Überlegungen anstellen. Zuallererst geht es darum, eine mögliche Kreditklemme zu vermeiden, wie sie schon 2008 bei der Pleite der Lehman-Bank drohte. Schon zwei Mal hat sie den Geschäftsbanken der Eurozone großzügig billiges Geld geliehen, insgesamt gut 1 000 Milliarden Euro, und viele Experten hatten für die vergangene Sitzung des EZB-Rates am 6. Juni eine dritte Geldspritze erwartet. Zwar blieb die aus, aber offenbar nur, um sich das Pulver trocken zu halten - für den Fall der Fälle.
Unternehmen fürchten Kreditklemme
Und auf den bereitet sich auch die Wirtschaft vor. Zwei Drittel der deutschen Unternehmen halten einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone für sinnvoll, knapp die Hälfte hält ihn sogar für wahrscheinlich, und jedes fünfte Unternehmen hat bereits Maßnahmen für diesen Fall getroffen oder plant entsprechende Maßnahmen, ergab eine Studie der Unternehmensberatung Roland Berger. "Viele Unternehmen, die etwa Produktionsstätten, Lieferanten oder Finanzierungskredite in Griechenland haben, müssen entsprechende Vorkehrungen treffen", sagt Max Falckenberg, Partner von Roland Berger Strategy Consultants.
Was die Unternehmen am meisten fürchten, ist eine erneute Kreditklemme. "Firmen fürchten, dass sich ihre Finanzierungsbedingungen verschlechtern werden. Bestehende Kreditlinien könnten gekürzt und neue gar nicht bewilligt werden", sagt Falckenberg. Zwar schätzen fast 70 Prozent der befragten Unternehmen ihre Liquiditätslage positiv ein - dennoch wollen sie auf Nummer sicher gehen und sich von den Banken unabhängiger machen: Deshalb bezeichnen mit 94 Prozent nahezu alle Unternehmen laut Berger-Studie die interne Finanzierung als ihre wichtigste Finanzierungsquelle.
Besser ein Ende mit Schrecken
Immer mehr Ökonomen sehen übrigens in einem Austritt Griechenlands auch positive Effekte. Für die Eurozone hätte der Austritt Griechenlands keine großen finanziellen Auswirkungen, weil das, was an Forderungen noch abgeschrieben werden müsste, von den Gläubigern antizipiert worden sei, glaubt Thomas Straubhaar, Chef des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts HWWI. Griechenland sei ein kleines Land, deshalb wären die Folgen des Austritts verkraftbar. "Es wäre ein Ende mit Schrecken, hätte aber den Vorteil, dass die Planungssicherheit wieder zunähme."
Weil der Austritt für die Griechen, auch wenn sie das vielleicht nicht wahrhaben wollten, der GAU wäre, käme es zu einer Implosion, die wirtschaftliche Lage wäre für lange Jahre sehr schwierig. Aber: "Die anderen Länder sähen, dass es keine Lösung ist, die Währungsunion zu verlassen", so der HWWI-Chef. "Dieses Szenario hat für Portugal, Spanien und Italien einen Abschreckungseffekt und wird deren Reformbereitschaft erhöhen."