Wirtschaftspolitik dominiert Parlamentswahlen in Chile
17. Dezember 2001Die Arbeitslosigkeit liegt derzeit bei rund zehn Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit wird offiziell mit 22,5 Prozent angegeben, manche Wirtschaftsexperten gehen aber davon aus, dass die tatsächlichen Zahlen doppelt so hoch sind. Das Wirtschaftswachstum wird in diesem Jahr auf drei Prozent zurückgehen. Bis Ende der 90er Jahre war Chile ein wirtschaftliches Wachstum von durchschnittlich sieben Prozent gewöhnt. In der derzeitigen wirtschaftlichen Krise wird gerne auf die Folgen des 11. September und auf die Rezession in den USA verwiesen, Tatsache ist aber, dass der Niedergang der chilenischen Wirtschaft schon vor drei Jahren begonnen hat.
Konservativer Sozialdemokrat
Als der Sozialdemokrat Ricardo Lagos vor fast zwei Jahren das Amt des Präsidenten antrat, wurde er von der Linken gefeiert als der erste sozialistische Präsident seit Salvador Allende. In Wahrheit zählt Lagos heute eher zum konservativen Flügel innerhalb seiner Partei, der sozialdemokratischen Partei für die Demokratie PPD. Von Lagos hatten sich vor allem die Unterprivilegierten eine deutliche Verbesserung ihrer Situation erhofft.
Zwar hat Lagos eine Reform des Arbeitsrechts auf den Weg gebracht. Die wird aber von Seiten der Unternehmer massiv boykotiert: Massenentlassungen sollen die Regierung unter Druck setzen und sie von ihrem Reformvorhaben abbringen. Nicht erst seit die "Chicago-Boys" Mitte der 70er Jahre der chilenischen Wirtschaft einen radikal liberalen Kurs verordnet haben, reagieren die Unternehmer äußert allergisch auf jeden Versuch von staatlicher Seite, im Wirtschaftsleben des Landes einige soziale Grundregeln zu etablieren.
"Transición" beendet
Mit der Wahl von Ricardo Lagos vor knapp zwei Jahren galt die Übergangszeit von der Diktatur zur Demokratie, die "transición", als endgültig beendet; Chile war in der Demokratie angekommen. Dass Lagos sich damals erst in einer Stichwahl gegen den Kandidaten der rechtskonservativen Opposition, Joaquín Lavín, durchsetzen konnte, war in Wahrheit schon damals eine Warnung an die Regierungskoalition. In elf Jahren sind Abnutzungserscheinungen aufgetreten. Die traditionell wirtschaftlich einflussreiche Rechte in Chile sieht erst in einem Machtwechsel einen wahren Beweis für die Demokratiefähigkeit des südamerikanischen Landes.
Auch wenn die meisten politischen Analysten im Land bemüht sind, nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen, das Ergebnis der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen vom 1999 wird dennoch als Maßstab für Erfolg oder Misserfolg bei diesem Urnengang zu Grunde gelegt. Präsident Lagos hatte damals mit knapp 48 Prozent der Stimmen nur einen halben Punkt vor seinem Herausforderer Joaquín Lavín gelegen.
Ideologisches Sammelbecken
Die politische Landschaft in Chile ist seit dem Ende der Diktatur in zwei große Lager gespalten: auf der einen Seite steht das regierende Mitte-Links-Parteienbündnis, dem im rechten Spektrum die Allianz für Chile gegenüber steht. In diesem Wahlbündnis haben sich die konservative Partei der Nationalen Erneuerung Renovación Nacional und die extrem rechte UDI, Unabhängige Demokratische Union zusammengeschlossen. Letztere ist das ideologische Sammelbecken der auch heute noch einflussreichen Anhänger von Augusto Pinochet.
Während inzwischen die wirtschaftliche Krise das beherrschende Thema in Chile ist, und sich die Diskussion um den Umgang mit dem greisen Ex-Diktator Augusto Pinochet in den Medien derzeit eher auf seinen Gesundheitszustand reduziert, werden auf Kasernengeländen in geheimen Massengräbern immer weitere Opfer der Diktatur entdeckt. Die Schatten der Vergangenheit reichen noch weit in die Gegenwart hinein.
Das chilenische Wahlsystem hat sich auch in einem Jahrzehnt nicht von den Fesseln befreien können, die ihm die Diktatur vor ihrem Abtreten angelegt hat. Jeder der 60 Wahlkreise ist mit zwei Abgeordneten im Parlament vertreten. Ins Parlament zieht jeweils der Kandidat einer Liste oder Partei ein, der die meisten Stimmen auf sich vereint. Eine Partei kann nur dann zwei Abgeordnete ins Parlament entsenden, wenn ihr Stimmenanteil zusammen mindestens doppelt so hoch ist, wie der des Kandidaten einer anderen konkurrierenden Partei, auch wenn dieser nur das drittbeste Wahlergebnis verzeichnen sollte. Dadurch geht schätzungsweise ein Drittel aller abgegebenen Stimmen verloren.
Wahlpflicht
In Chile herrscht Wahlpflicht, sofern man im Wählerregister eingetragen ist. Von den rund acht Millionen Wahlberechtigten haben sich aber rund zwei Millionen Wähler gar nicht erst registrieren lassen, Umfragen zu folge könnten noch mal zwei Millionen enttäuschte Bürger ungültig wählen. Politikverdrossenheit hat sich auch in Chile breitgemacht.
Alles in allem wird mit einem knappen Wahlausgang gerechnet, die beiden großen Lager dürften ungefähr gleichauf liegen in der Wählergunst, interessant wird eher das Abschneiden der Kommunisten und der Humanisten (Grünen), die nicht dem Regierungsbündnis angehören, der Koalition und ihrem Präsidenten aber oft schon als Mehrheitsbeschaffer gedient haben.