Wirtschaftsweise fordern schnellere Impfungen
17. März 2021Unter dem Eindruck der Corona-Pandemie haben die "Wirtschaftsweisen" am Mittwoch ihre neue Konjunkturprognose vorgelegt. Danach dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland im Jahr 2021 um 3,1 Prozent steigen. Damit korrigierte der "Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung", wie das Gremium offiziell heißt, seine bisherige Prognose nach unten. In der im November vorgelegten Vorhersage gingen die Experten noch von einem Wachstum von 3,7 Prozent für dieses Jahr aus.
Infolge der im Herbst 2020 wieder angestiegenen Infektionszahlen und der aktuell noch andauernden Einschränkungen sei im ersten Quartal 2021 mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung in Deutschland um etwa zwei Prozent zu rechnen. Mit dem zu erwartenden Impffortschritt, der Eindämmung der Pandemie und dadurch möglichen Lockerungen dürfte sich die Erholung in den kommenden Monaten wieder fortsetzen.
"Sobald es gelingt, das Infektionsgeschehen effektiv zu begrenzen und größere Anteile der Bevölkerung zu impfen, dürften sich die von den Kontaktbeschränkungen oder Schließungen stark betroffenen Dienstleistungsbereiche wie das Gastgewerbe oder der stationäre Einzelhandel wiederbeleben", erklärte Achim Truger, Mitglied des Sachverständigenrates.
Wirtschaft erreicht Vorkrisenniveau zum Jahreswechsel
Seine Kollegin Monika Schnitzler ergänzte, die Wirtschaftsleistung werde voraussichtlich zum Jahreswechsel 2021/22 wieder ihr Vorkrisenniveau erreichen. Für das Jahr 2022 erwartet das Gremium ein weiterhin kräftiges Wachstum von kalenderbereingt 4,1 Prozent. Gestützt werde die Entwicklung vor allem durch die Normalisierung des privaten Konsums sowie durch eine anhaltend starke Auslandsnachfrage.
Nach Mitteilung des Sachverständigenrates seien die Verbraucherpreise in Deutschland zum Jahresbeginn wieder stärker gestiegen. Hierzu hätten vor allem der höhere Ölpreis, die Einführung der CO2-Bepreisung in den Sektoren Verkehr und Wärme sowie das Auslaufen der vorübergehenden Umsatzsteuersenkung beigetragen. Deshalb dürfte die Inflationsrate 2021 im Jahresdurchschnitt 2,1 Prozent betragen. Im Jahr 2022 werde ein Anstieg der Verbraucherpreise von 1,9 Prozent erwartet.
Für den Euro-Raum senkte der Sachverständigenrat seine Wachstumsprognose für dieses Jahr auf 4,1 Prozent. Die erhöhten Infektionszahlen und die daraus resultierenden Einschränkungen dämpfe die wirtschaftliche Aktivität. Im kommenden Jahr dürfte das BIP im Euro-Raum dann um 4,2 Prozent wachsen. Die aktuell sehr günstigen Finanzierungsbedingungen im Euro-Raum dürften nach Meinung der Experten die wirtschaftliche Entwicklung bis Ende 2022 stützen, auch wenn die Banken ihre Kreditvergabestandards vor allem für Unternehmen seit der zweiten Jahreshälfte 2020 verschärft hätten.
Dritte Infektionswelle als größte Risiko
"Das größte Risiko für die Konjunktur in Deutschland stellt eine mögliche dritte Infektionswelle dar, und zwar dann, wenn sie zu Einschränkungen oder gar Betriebsschließungen in der Industrie führen würde", erläuterte der Wirtschaftsweise Volker Wieland. Chancen für eine bessere wirtschaftliche Entwicklung bestünden, wenn die Bevölkerung schneller als erwartet geimpft werde.
Daneben könne in den kommenden Monaten eine zusätzliche wirtschaftliche Dynamik entstehen, wenn man weitere Fortschritte in der medikamentösen Behandlung von Covid-19 erziele. Infektionsketten sollten durch den Einsatz digitaler Technologien schneller verfolgt und durch neue Teststrategien ergänzt werden.
Haus- und Fachärzte sollten auch impfen
"Damit Deutschland das EU-Ziel, 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung zu impfen, bis Ende September 2021 erreicht, muss die aktuelle Anzahl der täglichen Impfungen in den Impfzentren um die Hälfte gesteigert werden", sagte die Wirtschaftsweise Veronika Grimm. Außerdem sollten Haus- und Fachärzte in den Impfprozess einbezogen werden.
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat derzeit nur vier Mitglieder. Ende Februar schied der bisherige Vorsitzende Lars Feld aus dem Gremium aus. Die SPD war gegen eine Verlängerung der Amtszeit. Die schwarz-rote Koalition konnte sich aber auch nicht auf einen Nachfolger einigen. Der Sachverständigenrat berät die Politik. Die Experten werden umgangssprachlich auch als die "Wirtschaftsweisen" bezeichnet.