Griechenland muss jetzt liefern
19. Juni 2012Vor der zweiten griechischen Parlamentswahl innerhalb von sechs Wochen wurden die schlimmsten Szenarien an die Wand gemalt: Der linksradikale Ministerpräsident Alexis Tsipras kündigt die Sparprogramme auf, der Geldhahn für Athen wird zugedreht, Griechenland tritt aus der Währungsunion aus, andere Länder folgen, die Eurozone bricht auseinander.
Gewonnen hat nun die als europafreundlich geltende konservative Nea Dimokratia. Das Wahlergebnis gebe zwar Grund zu einem vorsichtigen Optimismus, doch sei es noch ein langer Weg für Griechenland, bis der Verbleib in der Eurozone gesichert sei, meint Wolfgang Franz, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim und Chef der Wirtschaftsweisen: "Es kommt jetzt alles darauf an, ob Griechenland eine funktionstüchtige Regierung bekommt. Das wird nicht leicht sein."
Verzwickte Lage in Griechenland
Denn die Nea Dimokratia möchte mit der sozialistischen Pasok koalieren, da beide grundsätzlich zum Reformkurs stehen. Die Pasok will das Linksbündnis Syriza ins Boot holen, da sie sonst befürchtet, dauerhaft mit Massenprotesten konfrontiert zu sein. Syriza als Regierungspartner würde wiederum die Verhandlungen mit den Geldgebern erschweren.
Die "Männer in Schwarz", wie die Experten der Troika - der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds - genannt werden, kommen wieder nach Athen, sobald dort eine Regierung gebildet ist. Sie werden feststellen, dass sich der Zustand des Patienten noch weiter verschlimmert hat. Durch die politische Lähmung sind die Steuereinnahmen im Mai im Vergleich zum Vorjahresmonat um ein Viertel eingebrochen. Die Wirtschaft ist seit dem Ausbruch der Krise um ein Fünftel geschrumpft. Deswegen bleibt das Ziel, 2014 die Haushaltsdefizite unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu senken, illusorisch.
Den Griechen beim Zeitplan entgegenkommen
Wie der deutsche Außenminister Guido Westerwelle plädiert auch Wolfgang Franz dafür, über eine Streckung bei den Konsolidierungszielen nachzudenken. Aber zuerst muss Griechenland liefern: "Beispielsweise die Flexibilisierung der Güter- und Arbeitsmärkte, so dass Barrieren für den Zugang zu bestimmten Berufen abgebaut werden." Oder die Einführung eines Steuersystems, so dass auch die oberen Einkommensschichten zur Kasse gebeten würde, nennt Franz gegenüber der DW. "Das kostet nicht viel Geld und kann sofort umgesetzt werden."
Viel Zeit bleibt beiden Seiten nicht. Bereits Mitte Juli werden die Staatskassen der Hellenen leer sein. Einen Monat später muss Athen einen großen Batzen Staatsanleihen refinanzieren. Wenn bis dahin keine Einigung erzielt wird, geht Griechenland endgültig pleite.
Nur ein Austritt verspricht Heilung
Auch wenn dieses Szenario von der Politik mit aller Kraft vermieden wird, ist es für viele Ökonomen nur eine Frage der Zeit, wann Griechenland die Währungsunion verlässt. Laut Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo-Instituts in München, würde sogar nur ein Austritt aus der Eurozone den Griechen wieder auf die Beine helfen können, denn die neue alte Drachme wird massiv abwerten: "Es gibt dann mehrere Effekte. Erstens kommen die Touristen wieder. Dann hören die Griechen auf, aus Frankreich mehr Agrarprodukte zu kaufen, als sie liefern. Das wird die heimische Wirtschaft beleben. Drittens wird auch das Fluchtkapital wieder zurückkommen", sagt Sinn der DW. Denn im Moment würden durch die Rettungsaktionen die Immobilienpreise und andere Vermögenswerte auf einem künstlichen Niveau gehalten, das nicht stabil sei.
Instabilität für die ganze Eurozone befürchtet der ZEW-Präsident Wolfgang Franz hingegen, wenn die Griechen den Euro aufgeben: "Es ist praktisch unmöglich, genau die Kosten eines Austritts Griechenlands auszurechnen und die Kosten eines Verbleibs für Griechenland in der Währungsunion entgegenzuhalten, die uns entstehen, weil Hilfszahlungen weiter erfolgen." Er sei dafür, dass Griechenland in der Währungsunion bleibe, weil er die Ansteckungseffekte auf andere Problemländer fürchte.
Ansteckung ist längst passiert
Für Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka-Bank, ist die Ansteckung bereits eingetreten: "Was sich jetzt anbahnt, ist, dass die Refinanzierung für Spanien und Italien immer teurer wird und auch quantitativ austrocknet."
Für zehnjährige Staatsanleihen musste Spanien am Montag (18.06.2012) über sieben Prozent Zinsen zahlen, so viel wie noch nie seit der Euro-Einführung. Laut Kater kommt dann erst die Bewährungsprobe für die Währungsunion, wenn sie Rettungsschirme über Spanien und Italien aufspannen müsste. Griechenland sei hingegen für den Fortbestand des Euro nicht mehr entscheidend, "weil die Perspektive, dass Griechenland ganz besondere Schwierigkeiten hat, im Euro zu verbleiben, an den Märkten in den letzten zwei bis drei Jahren schon eingenommen wurde", sagt Ulrich Kater von der Deka-Bank gegenüber der DW.