Communicator-Preis 2014
1. Juli 2014Onur Güntürkün ist Biopsychologe und das eigentlich schon seit frühester Kindheit. Seine ersten Experimente mögen vielleicht etwas ungewöhnlich klingen, aber sie haben funktioniert: "Als Acht- bis Neunjähriger habe ich Rüsselkäfer im Garten gefangen, habe sie in Musikkassettenschachteln gesperrt, aus Pappe kleine Labyrinthe gebaut und den Tierchen beigebracht, für Zuckerwasser oder Apfelstückchen den richtigen Lösungsweg zu finden", beschreibt der 55-Jährige seine ersten Forschungserfolge.
Den Begriff der Biopsychologie habe er damals zwar noch nicht gekannt, aber er war schon immer davon fasziniert, wie das Denken, das Lernen, das Erinnern im Gehirn ablaufen. In seinem Forschungsbereich beschäftigt sich der Professor mit den Zusammenhängen von biologischen Prozessen und Mechanismen, die es im Körper und im Verhalten gibt.
Die richtigen Worte finden
Seit 1993 ist Güntürkün Professor an der Fakultät für Psychologie der Ruhr-Universität Bochum. Aber er ist nicht nur anerkannter Experte auf seinem Forschungsgebiet. Er ist ein Meister darin, diese Wissenschaft auch Nicht-Wissenschaftlern zu erklären, ganz ohne Fachtermini. Man habe nach einer Weile ein zweites Vokabular, so Güntürkün. "Ich übe immer an mir selbst. Dazu nehme ich die 'dreimal-ein-Satz-Regel'. Ich muss in der Lage sein, erst einmal die Frage in einem Satz auf das Wesentliche zu bringen, dann die Methode in einem Satz zu beschreiben und das Ergebnis ebenfalls in einem Satz. Erst wenn ich das schaffe, habe ich das beruhigende Gefühl: ich hab's verstanden."
Jetzt erhält der Biopsychologe den "Communicator-Preis - Wissenschaftspreis des Stifterverbandes 2014". Ausgeschrieben wird er von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und ist mit 50.000 Euro dotiert. Er geht an Wissenschaftler, die ihre Arbeit verständlich und erfolgreich der breiten Öffentlichkeit und den Medien vermitteln. Insgesamt hatten sich 52 Forscherinnen und Forscher aus allen Wissenschaftsgebieten um den Preis beworben oder waren vorgeschlagen worden. Die Jury hat sich für Güntürkün entschieden.
Von Izmir nach Bochum
Geboren ist Güntürkün 1958 im türkischen Izmir. Als kleiner Junge erkrankte er an Polio und wurde zur Behandlung zu einem Onkel nach Deutschland geschickt. Die Ärzte behandelten den jungen Onur über etliche Monate, aber die Therapie war nur bedingt erfolgreich. Güntürkün sitzt im Rollstuhl. Bis zum Alter von 13 Jahren besuchte er in Deutschland die Schule, zog dann aber mit seinen Eltern zurück in die Türkei. Dort machte er sein Abitur. Zum Studium wollter er dann wieder in seine jetzige Wahlheimat. Die deutsche Sprache war schließlich kein Problem für ihn. Er entschloss sich, Psychologie zu studieren. Dieser Fachbereich, so glaubte er, sei in Deutschland neurowissenschaftlich orientiert.
1975 begann er sein Studium an der Ruhruniversität in Bochum, musste aber schnell feststellen, dass die Neurowissenschaften beim Psychologiestudium eben doch nicht so viel Raum einnahmen. Und so spielte Güntürkün mit dem Gedanken, zur Medizin zu wechseln. Letztendlich aber gab es Gründe, das nicht zu tun. "Mein Vater ist Arzt, und er brachte immer Zeitschriften mit Bildern von blutigen Wunden mit nach Hause. Die konnte ich mir einfach nicht ansehen. Da habe ich mir gedacht: Oh Gott, wenn du schon die Bilder nicht angucken kannst, wie willst du das denn studieren?" Er blieb bei Psychologie und wurde das, was er schon immer werden wollte, Hirnforscher.
Die rote Scheibe
Vor allen Dingen das Erforschen der links-rechts-Asymmetrien des Gehirns hat es dem heute 56-Jährigen angetan. Erstaunlicherweise seien die Asymmetrien im Sehsystem von Tauben denen der Menschen sehr ähnlich, erklärt Güntürkün. "Warum das so ist, wissen wir im Moment noch nicht so genau, aber es ist natürlich eine famose Erkenntnis."
Mithilfe von Tauben untersucht er deshalb die links-rechts-Verschiedenheiten des menschlichen Gehirns. Dazu kommt die Taube in eine kleine Box. Eine Wand davon ist eigentlich ein Touchscreen-Monitor - ähnlich wie bei einem Tablet-PC. Davor befindet sich ein Futtergeber. "Der öffnet sich für ein paar Sekunden. Die Taube freut sich natürlich darüber und frisst das Futter. Was ihr dann auffällt ist, dass ein paar Sekunden bevor die Futterkammer aufgeht, auf dem Monitor immer eine rote Scheibe aufleuchtet", erklärt der Wissenschaftler. Diese rote Scheibe wird zum Vorhersagemechanismus.
Die Taube hat gelernt: Wenn das rote Symbol aufleuchtet, kommt wenige Sekunden später das Futter. Schließlich pickt sie auf das rote Symbol, denn für die Taube ist es gleichzusetzen mit Futter." Tauben lernen schnell, können sich an viele Dinge erinnern und so komplexe Denkleistungen erbringen. Die Fragestellung des Forschers: Was passiert im Gehirn, wenn diese Denkprozesse in Gang gesetzt werden?
Frauen und Einparken
Oft beschäftigt sich Güntürkün mit Themen, die auch Laien interessieren. Können Frauen wirklich schlechter einparken als Männer? Güntürküns Antwort ist ein eindeutiges "ja". Es tue ihm leid, das zu sagen, aber die Wissenschaft kenne kein Erbarmen. "Frauen brauchen länger, um schlechter einzuparken. Wir haben Fahranfänger genommen, die den Führerschein maximal zwei Wochen hatten, und wir haben etwas erfahrenere Autofahrer und Autofahrerinnen genommen, die den Führerschein schon ungefähr ein Jahr hatten." In beiden Gruppen seien die Frauen, sowohl was die Geschwindigkeit des Einparkens als auch was die Präzision des Einparkens angeht, deutlich schlechter gewesen, sagt Güntürkün. "Warum ist das so und warum ist das so spannend?
Zunächst scheint es stark biologisch beeinflusst zu sein: Frauen sind hormonell bedingt bei einer ganz bestimmten Denkleistung schlechter als Männer. Das betrifft die mentale Rotation," erklärt er - die Fähigkeit also, sich eine Drehung vorzustellen. Interessant dabei für den Wissenschaftler: nach einem Jahr müssten auch Fahranfängerinnen das Einparken gelernt haben. Aber jetzt komme das gängige Vorurteil ins Bild. Frauen können nicht einparken. Das wiederum führe zu einem psychologischen Faktor. "Jetzt haben die Frauen Angst vor der Parklücke. Am Anfang ist es noch die Biologie, am Ende ist es die Psychologie, aber der Unterschied ist da."
Rechtsrum küssen oder linksrum?
Auch das Küssen hat der Biopsychologe erforscht. Er ging von Beobachtungen aus, dass Föten vor der Geburt den Kopf schon immer nach rechts neigen und dass sie vor der Geburt an ihrem rechten Daumen nuckeln. Auch in den ersten Monaten nach der Geburt neigen sie den Kopf nach rechts. "Eines Tages saß ich auf meinem Sofa, starrte aus dem Fenster und dachte: Was wäre eigentlich, wenn die Rechtskopfdreh-Präferenz des Menschen nie aufhört?"
Dann müssten doch auch Erwachsene vorzugsweise den Kopf nach rechts neigen. "Küssen ist so eine Situation. Man muss den Kopf ein bisschen drehen und den Kopf schön schräg legen." Das hat er dann wissenschaftlich untersucht. Das Ergebnis: Zwei Drittel der Menschen neigen den Kopf beim Küssen nach rechts, ein Drittel nach links. "Gerade küssen, das geht nicht", so Güntürkün. Denn dabei wären die Nasen im Weg.
Die Faszination der Biopsychologie
Bei seinen Studenten ist Gündükün beliebt und auch bei denjenigen, die sich für Wissenschaft interessieren. Sie lassen sich gerne anstecken von seiner Begeisterung: "Mein Denken und das Denken anderer besteht aus der Interaktion von Milliarden von Nervenzellen. Davon ist jede für sich eigentlich ein bisschen dümmlich und kann gar nicht so furchtbar viel. Aber in ihrer Zusammenschaltung entsteht ein Geist von ungeheurer Tiefe und Komplexität. Dieser Geist, der aus diesen Milliarden, eigentlich eher dümmlichen Einzelelementen entsteht, das ist die größte Faszination, die ich empfinde."