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Fußball-WM bedroht Ureinwohner in Rio

Sam Cowie, Jessie Wingard13. Juli 2012

Brasilien wird 2014 die nächste Fußball-WM ausrichten, dafür müssen die Stadien im Land modernisiert werden. Die Bauarbeiten für das WM-Stadion in Rio de Janeiro bedrohen wichtige Kulturstätten der Ureinwohner.

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Ein Mitglied vom Stamm der Alocera Camicua in traditioneller Tracht. (Foto: DW/Sam Cowie)
Bild: DW/S.Cowie

Im Garten eines heruntergekommenen Hauses in Maracana, im Norden von Rio de Janeiro, ist Alfonso Apuninam mit dem Grillen von in Palmblättern eingewickeltem Fisch beschäftigt. Der 46-Jährige gehört zum indigenen Stamm der Alocera Camicua. Während Alfonso das Essen vorbereitet, pflegen andere Bewohner im Garten ihre Pflanzen, rauchen Pfeife oder bemalen sich gegenseitig mit traditionellen Mustern. Der Verkehrslärm einer nahe gelegenen Autobahn übertönt die von Maraca-Rasseln begleiteten Gesänge.

Das Maracana-Stadion im Umbau. (Foto: DW/Sam Cowie)
Das Maracana-Stadion im UmbauBild: DW/S.Cowie

Das Grundstück des ehemaligen "Rio de Janeiro Museu Do Indiao" (Museum des Indianers) dient seit 2006 als Unterkunft für mehr als 30 Indianer, die unterschiedlichen Stämmen angehören. Bis jetzt haben sie hier friedlich zusammengelebt, traditionelle Riten gepflegt und interessierten Besuchern mehr über ihre Kultur erklärt.

Ende einer traditionellen Kultur

Doch diesem friedliche Paradies aus Gebäuden und Gärten, das seinen Bewohnern Heimat geworden ist, droht der Abriss. Angekündigt wurde dieser Plan vor Kurzem vom Ministerpräsidenten des Bundesstaates Rio de Janeiro, Sergio Cabral. Er sagte, die Maßnahme sei nötig, um Platz für einen weiteren Eingang zum Stadion zu schaffen.

Bisher hatten sich die örtlichen Behörden geweigert, Auskünfte über die geplanten Baumaßnahmen für die Arena und ihre Umgebung zu erteilen. Man werde "die richtige Antwort im richtigen Moment geben", hieß es. Doch jetzt zeichnet sich ab, dass die Antwort den hier ansässigen Indigenen nicht gefallen wird. Der gesamte Stadtteil Maracana wird im Zuge der Vorbereitungen auf die Weltmeisterschaft komplett umgestaltet. FIFA-Vertreter schätzen, dass etwa 10.000 Parkplätze um das Stadium herum entstehen müssen. "Natürlich mache ich mir Sorgen, wir sind alle sehr beunruhigt. Die Regierung hat noch nie die Rechte und Anliegen der Ureinwohner respektiert", sagt Micael Oliveira vom amazonischen Stamm der Aruak.

Das Museum für indigene Kultur (Foto: DW/Sam Cowie)
Das erste Museum für indigene Kultur in SüdamerikaBild: DW/S.Cowie

Oliveira studiert Geschichte, Archäologie und Volkskunde an der nahegelegenen staatlichen Universität. Er lebt mit seinen vier Kindern in dem Gebäude, das demnächst abgerissen werden soll. "Sie begannen mit den Bauarbeiten direkt vor unserem Haupteingang. Einfach so, ohne irgendeine Erklärung dafür abzugeben. Aber einen Dialog hat es zwischen uns und dem Staat sowieso noch nie gegeben", beklagt der 36-Jährige. "Ich finde, dieser Ort sollte besser als Beratungszentrum für Ureinwohner ausgebaut werden," regt Oliveira an.

Auf eigene Faust

Das Gebäude beherbergte das erste Museum für die Kultur der Ureinwohner in ganz Lateinamerika und ist für die Indigenen etwas Besonderes. Es wurde 1846 von der brasilianischen Regierung als Zentrum für das Studium einheimischer Indianerkulturen gestiftet. 1978, während der Militärdiktatur, wurden die Artefakte des Museums in den Stadtteil Botafogo verlegt. Danach stand das Haus leer, bis 2006 die jetzigen Bewohner einzogen.

Offiziell ist der Grund, auf dem das Gebäude steht, Eigentum der brasilianischen Regierung. Doch laut Gesetz geht Land, wenn es mindestens fünf Jahre lang friedlich besetzt wurde, automatisch in den Besitz der Bewohner über. Die Indianer nutzen das Gebäude als kulturelles Zentrum und führen dort unter anderem wöchentliche Veranstaltungen mit Tänzen und Ritualen durch, um das Bewusstsein für die Kultur der Ureinwohner zu stärken. Auch Kunsthandwerk und Bioprodukte werden verkauft. Indianer aus ganz Brasilien, die auf der Durchreise einen Schlafplatz suchen, können hier übernachten.

Das Gebäude beherbergt nicht nur das Museum, sondern ist auch das Hauptquartier von Brasiliens erster Organisation für die Rechte von Ureinwohnern, FUNAI. "Uns wurde bislang keinerlei Ersatz angeboten, und selbst wenn wir ein solches Angebot bekämen, sind wir nicht interessiert. Wir wollen diesen Ort behalten, denn er steht für unsere Geschichte," sagt Cuati. Der 43-Jährige lebt hier in Maracana, aber auch in seinem Dorf in Porto Segura im nordostbrasilianischen Bahia. "Genauso, wie wir für andere Orte gekämpft haben, so werden wir auch für diesen hier kämpfen. Und wenn ich von wir rede, dann meine ich wirklich jeden einzelnen von uns, unser ganzes Volk", sagt Cuati.

Mitglieder der Indianer-Gemeinschaft im Garten des Museums (Foto: DW/Sam)
Mitglieder der Indianer-Gemeinschaft im Garten des MuseumsBild: DW/S.Cowie

Vertreibung – ein niemals endendes Menschenrechtsthema

Brasilien hat die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte von Ureinwohnern ratifiziert, die eindeutig besagt, dass die Rechte von Ureinwohnern respektiert und geschützt werden müssen. Und dennoch beklagte der “Indigene Missionsrat” (CIMI) in seinem jüngsten Jahresbericht eine Zunahme von Gewaltverbrechen, Einschüchterungsversuchen und Vertreibungen von Ureinwohnern innerhalb der vergangenen Jahre. Die Ureinwohner in Maracana haben bisher noch kein genaues Datum für die Zwangsräumung und den Abriss ihres Gebäudes erhalten, Gespräche zwischen ihnen und den örtlichen Behörden gab es bisher keine.

Die Situation ist nicht untypisch. Immer wieder geraten die brasilianischen Behörden im Zusammenhang mit Bauvorhaben für die Fußball-WM 2014 und die Olympischen Spielen 2016 in den internationalen Fokus, insbesondere wegen ihres Umgangs mit Anwohnern und Ureinwohnern. Dafür wurde Brasilien im vergangenen Juni sowohl von den Vereinten Nationen wie auch von Amnesty International scharf kritisiert.

Laut einer UN-Studie werden durch die beiden Sportgroßereignisse in den kommenden Jahren etwa 30.000 Menschen in Rio de Janeiro vertrieben. Aktivisten schätzen, dass die Behörden im ganzen Land zur Zeit 170.000 Zwangsräumungen veranlassen. Die meisten der Betroffenen sind arm.

Doch auch wenn die Zukunft nichts Gutes zu verheißen scheint, die Ureinwohner in Maracana bleiben optimistisch. Alfonso Apuninam sagt, er sei trotz allem zuversichtlich, dass die Gemeinschaft weiterbestehen kann.

Indianer bemalen gegeseitig ihren Körper (Foto: DW/Sam Cowie)
Die Indianer nutzen den Garten des Museums für traditionelle Tänze und Rituale sowie den Verkauf von KunsthandwerkBild: DW/S.Cowie