Katar-WM - zwischen Boykott und Begeisterung
18. November 2021Längst ist die Fußball-Weltmeisterschaft im Wüstenstaat Katar keine Fata Morgana mehr. Im Gegenteil: Die erste WM in der arabischen Welt, die vom 21. November bis 18. Dezember 2022 geplant ist, wird immer greifbarer. Ende Oktober hat der Golfstaat mit großer Fanfare das Al-Thumama-Stadion eingeweiht, damit ist ein Jahr vor dem Turnierstart die sechste der insgesamt acht Arenen für das Großevent fertiggestellt.
In Europa haben sich die ersten zehn Teams für die WM qualifiziert, darunter auch Deutschland. Eine wie elektrisiert aufspielende Mannschaft aus der Schweiz sicherte sich das direkte WM-Ticket, Europameister Italien muss deswegen in die Play-Offs. Serbien bereitete Fußball-Superstar Cristiano Ronaldo und Portugal das gleiche Schicksal. Fassungslosigkeit in Lissabon, während man in Belgrad von einer "großen Stunde unseres Fußballs" spricht. Da kommt fast schon so etwas wie WM-Fieber auf, dabei ist es noch ein Jahr hin bis zum Eröffnungsspiel.
Euphorie hier, Aufrufe zum Boykott dort
Die Euphorie in vielen Ländern, die das Ticket gelöst haben, macht aber auch deutlich: Je näher das Turnier kommt, desto schwerer werden es wahrscheinlich die haben, die die WM in Katar seit Jahren kritisieren. Vor allem in der westlichen Welt gehen die Forderungen bis hin zu einem Boykottaufruf. Regelmäßig hängen in den Stadien entsprechende Banner. Die WM 2022 sei "ein dem Fußball unwürdiges Turnier", sagt "Boycott Qatar" aus Deutschland, eine Initiative von Fans. Es würden "viele Gebote der sportlichen und politischen Fairness" gebrochen, heißt es auf ihrer Webseite. "Viele sagen, das ist nicht unser Ereignis, da wollen wir kein Teil davon sein", so Bernd Beyer, einer ihrer Sprecher.
Korruption, schlechte Menschenrechtslage
Kritikpunkte an der Wüsten-WM gibt es reichlich: Zum einen überschatteten Korruptionsvorwürfe schon 2010 die Wahl des Emirats als Standort für das Turnier. Zehn Jahre später, im April 2020, legte das US-Justizministerium nach langen Ermittlungen Beweise vor, die nach seiner Einschätzung belegen, das Katar tatsächlich Schmiergelder gezahlt hat. Aus Doha heißt es dazu, man habe "die beste Bewerbung" abgegeben und sich nichts zuschulden kommen lassen.
Zum anderen steht es im Land des nächsten WM-Ausrichters schlecht um die Menschenrechte. Es gibt keine Presse- und Meinungsfreiheit, männliche Vormundschaft schränkt Frauenrechte stark ein, Homosexualität ist verboten. Als rechtelos gelten auch viele der Gastarbeiter. Gekommen aus Ländern wie Indien, Nepal oder Bangladesch, bauen sie in Katar neue glitzernde Stadien für die WM. Sie leben würdelos in unhygienischen Lagern in der Wüste. "Man kommt sich dort nicht vor wie in der Dritten, sondern wie in der Vierten oder Fünften Welt", sagt der deutsche Sportjournalist und Katar-Kenner Benjamin Best, der das Land regelmäßig bereist. Löhne würden oft nicht bezahlt. "Ich kenne Gastarbeiter, die seit zwei Jahren auf ihr Geld warten", so Best gegenüber der DW.
Hitze und extreme Arbeitsbedingungen setzen den Arbeitern zu, nach Medienberichten sind Tausende von ihnen verstorben. Katar aber führe keine angemessenen Autopsien durch, beklagt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. "Die Zahl der Todesfälle in Folge des Einsatzes auf WM-Baustellen dürfte sehr hoch sein", sagt Amnesty-Nahost-Expertin Katja Müller-Fahlbusch der DW.
Zwar hat Katar seit einigen Jahren Reformen des Arbeitsrechts angestoßen - "in nie vorher dagewesener Geschwindigkeit", wie der Geschäftsführer der WM 2022, Nasser al-Khater, sagt. "In der Praxis aber fällt die Bewertung sehr nüchtern aus", entgegnet Müller-Fahlbusch. Die neuen Gesetze könnten von örtlichen Unternehmen relativ einfach umgangen werden, es habe auch neue Todesfälle gegeben. "Noch nie haben so viele Menschen für eine WM ihr Leben gelassen wie für die WM in Katar", sagt Benjamin Best.
DFB sieht Boykott kritisch
Lässt all das Spieler und Verbände kalt? Im März 2021 trugen Fußballer der Mannschaften Deutschlands, Norwegens und der Niederlande vor ihren WM-Qualifikationsspielen T-Shirts, auf denen die Einhaltung der Menschenrechte gefordert wurde. Im Sommer stimmte Norwegens Verband jedoch gegen einen Boykott der WM in Katar. "Ein Boykott bringt nur etwas, wenn er vor Ort auch von der Bevölkerung getragen wird", kommentierte damals Sven Mollekleiv vom norwegischen Fußballverband NFF.
Ähnlich positionierte sich im September der Deutschen Fußball-Bund (DFB). "Die Botschaft, die wir überwiegend vernehmen, ist: Ein Boykott bringt das Land und die Menschen im Land nicht voran", sagte die kommissarische DFB-Generalsekretärin Heike Ullrich in einem Interview der verbandseigenen Internetseite dfb.de.
Alternativturnier in Leipzig
Verbände und Spieler richten ihren Fokus immer mehr auf das Turnier, nicht auf kritische Nebengeräusche. Obwohl es bei der WM in Katar für viele Fußball-Fans mittlerweile um sehr viel mehr geht als nur ein Spiel. Es gibt sogar Fans, die schon jetzt mit der WM in Katar 2022 abgeschlossen haben. In Leipzig wollen Studenten ein Parallel-Turnier unter dem Namen ASAP Global Cup veranstalten. ASAP steht in diesem Zusammenhang für "Amateur Sports Against Profit", Amateursport gegen Profit. 16 Amateur-Teams aus der ganzen Welt sollen zu denselben Anstoßzeiten wie bei der WM in Katar gegeneinander antreten, die Spiele werden per Livestream im Internet angeboten.
"Uns schmeckt diese WM überhaupt nicht, weil dort (in Katar - Anm. d. Red.) Menschenrechte mit Füßen getreten werden und Profitgedanken über allem anderen stehen, sagt Anton Kämpf, einer der Organisatoren, der DW. "Davon wollen wir nicht mehr Teil sein. Das ist nicht das, was den Sport ausmacht."
Katar will sich bei der WM in bestem Gewand präsentieren - für viele Fans und Experten ist das nichts anderes als "Sportswashing", ein Ablenken von Missständen durch die glitzernde Welt des Sports. Der Großteil der Fußball-Welt wird jedoch voraussichtlich wieder Beifall klatschen - spätestens wenn in einem Jahr der Ball rollt. Dass die WM aber komplett reibungsfrei ablaufen und jegliche Kritik verstummen wird, scheint unwahrscheinlich. Dafür hat Katar auf zu vielen Baustellen immer noch zu wenig getan.