WM-Patriotismus in Schwarz-Rot-Gold
12. Juni 2006Was hätte Sigmund Freud wohl zum Thema unterdrückter Nationalstolz gesagt? Wahrscheinlich hätte der Vater der Psychoanalyse die Fußball-WM als eine Art Therapie für Patienten mit einem Identitätskomplex angesehen. Ja, der Patient ist Deutschland, der für die Gräueltaten der Nazis über sechs Jahrzehnte für schuldig befunden wurde.
Vertrauen durch Nationalstolz
Die Idee von Deutschland als Markenzeichen, als eine Nation war schon immer schwierig. Jeder kann von ganzem Herzen ein Bayer, Schwabe oder Europäer sein - aber kein Deutscher. "Das Problem ist aber, dass die Deutschen das nationale Selbstvertrauen benötigen, um wieder aus der Wirtschaftskrise herauszukommen. Nach dem Konzept, dass jede Nation eine Marke ist, Auch Deutschland. So wie beispielsweise 'Cool Britannia'", sagt Henrik Müller. Er ist Autor des Buches "Wirtschaftsfaktor Patriotismus". Dort schreibt er, dass Patriotismus der Schlüssel für den Erfolg der Weltwirtschaft ist.
Im Zusammenhang mit der WM wird überschwängliches Fahnenschwenken nicht nur akzeptiert, sondern man wird von allen Seiten sogar dazu ermutigt. Als WM-Gastgeberland hat Deutschland endlich die Chance, seine Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold wie ein stolzer Pfau vor einem weltweiten Publikum herzutragen. Sichtbar werden die drei Farben vor den Spielen am Flughafen, am Bahnhof und in Schaufenstern präsentiert. Massenware im Überfluss in Form von Bierkrügen, Regenschirmen, Strandtüchern, Teddybären, T-Shirts, Hüten, Kappen und natürlich Flaggen in allen Größen.
"Liebeserklärung an Deutschland"
Die offiziellen T-Shirts mit den Farben der Deutschlandflagge, die für die Kampagne "Deutschland - Land der Ideen!" - eine Initiative von Bundespräsident Horst Köhler und verschiedenen Unternehmen - waren Verkaufsschlager, sagt Levon Milikian, der Mitinhaber der Modefirma Eva Gronbach GmbH. "Die Nachfrage war enorm - weit über unsere Erwartungen hinaus.", fügt Miliakian hinzu, der seine Verkaufszahlen nicht nennen will.
Seine Geschäftspartnerin Eva Gronbach brachte vor einigen Jahren ihre Kollektion "Liebeserklärung an Deutschland" und "Mutter Erde, Vaterland" heraus. Motive waren unter anderem Bären mit der Deutschlandfahne und verschiedene Ausführungen des Bundesadlers. Bevor sie die Kollektion aufnahm, musste sie ihre eigenen Vorurteile bekämpfen und sich überlegen, was es für sie heißt, eine Deutsche zu sein. Auch wenn man über sechs Jahre außerhalb Deutschlands, aber immer noch am Eurostartunnel lebt: Insgesamt sechs Jahre verbrachte sie in Brüssel, Paris und London.
Mit Deutschband kleben
Scheinbar niemand bekommt in diesen Tagen genug von der Deutschlandflagge. Selbst Designer, die sonst schon vor dem Wort Patriotismus erschaudern, springen mit auf den fahrenden Zug und werben für Schwarz-Rot-Gold. "Früher hasste ich die Farben der Flagge, aber nun finde ich sie sehr schön. Sie präsentiert positive Werte - Freiheit, Toleranz und Demokratie," sagt Gronbach, die ihre internationalen Models Jacken, Pullover und Accessoires in den Farben tragen lässt. Dies reflektiere die Vision eines toleranten und vielfältigen Deutschlands.
Nun bekommt man auch die Möglichkeit neben der Deutschlandfahne das so genannte Deutschband zu kaufen, und alles mögliche damit zu bekleben. Das Deutschband ist eine 66 Meter lange Kleberolle mit den Farben der Deutschlandfahne. Das war unser persönlicher Beitrag zur WM, sagt Arne Schültchen von der Agentur Feldmann und Schültchen, zu deren Kundenstamm unter anderem Bacardi, Europcar und Microsoft zählen. Der Nutzer soll Spaß mit dem Tape haben. Zudem sei es sehr haut- und materialfreundlich. So kann man mit dem Deutschband Autos bekleben ohne den Lack damit zu beschädigen.
"Als Designer kümmere ich mich um Marken und Menschen. Wir wollen die Farben der Nationalflagge ins tägliche Bewusstsein bringen. Mit 1001 kreativen Ideen", sagt Schultchen.
Der 40-jährige Müller, der in einer Generation aufgewachsen ist, in der Patriotismus gleichbedeutend mit "politisch rechts" ist, fügt hinzu: "Die einzige Zeit in der ich mich als Deutscher fühle, ist während der WM. Sollten die Deutschen das Finale erreichen, wird es eine positive Stimmung im ganzen Land geben. Aber die positiven wirtschaftlichen Folgen würde ich nicht überschätzen."