Wo Heimat ist: Köln singt
25. April 2018Die "kölschen" Lieder verbinden die Menschen miteinander - und so ist es kein Wunder, dass auch junge Musiker das Gefühl "Heimat" in ihren Liedern ausdrücken. In unserer Mini-Serie "Wo Heimat ist..." hat DW-Reporterin Silke Wünsch die junge Kölner Band FIASKO getroffen und sich von einem Historiker und einem türkischen Journalisten das "kölsche Jeföhl" (Gefühl) erklären lassen.
Wir stehen auf dem Dach der Zentrale einer großen Versicherung, direkt am Rhein, mit einem sagenhaften Rundblick über ganz Köln. Neben uns liegt eine riesige Weltkugel aus Stahl und Lichtschläuchen - ein Kunstwerk von HA Schult - auf ihrem Sockel. Nachts leuchtet sie in bunten Farben und ist zu einem Kölner Wahrzeichen geworden. Jetzt ist das Licht noch nicht eingeschaltet - die Sonne geht gerade unter und taucht die Silhouette der Stadt in ein golden-diffuses Licht.
Ich bin mit Henning, Daniel, Dirk und René hier oben. Sie sind die Kölschrock-Band FIASKO, vier junge Typen, die 2014 angefangen haben, kölschsprachige Musik zu machen. Mit ihrem Song "Nur do" (Nur du) sind sie 2017 in Köln richtig durchgestartet. Die Erklärung für den Erfolg des fröhlichen Folkrocksongs ist einfach: Das Lied handelt von Heimat, Freunden und Zusammengehörigkeit. Begriffe, die in Köln ganz groß geschrieben werden.
Ansteckender Lokalpatriotimus
Fiasko-Sänger Daniel erzählt, wie die Band auf die Idee zu "Nur do" gekommen ist - auf der Suche nach starken Wörtern, die das Gefühl der Musiker transportieren sollten: "Als wir dieses Lied geschrieben haben, haben wir uns gefragt, was eigentlich Heimat für uns bedeutet. Und sind schnell drauf gekommen, dass Heimat ein Ort ist, an dem man frei leben kann und sich wohlfühlt, egal wo man ist." Sowas in einem Lied auszudrücken, sei schwerer als viele es sich vorstellen. Man müsse ja auch die richtigen Worte finden um dieses Gefühl auszudrücken. Gitarrist Henning erklärt, warum so viele Kölner Bands sich dennoch an das Thema wagen: "In dieser Stadt verbindet die Musik die Leute. Egal woher sie kommen. Ob sie zu Besuch sind, ob sie aus ihrem Land fliehen mussten, oder ob sie hier wohnen. Dieser Lokalpatriotismus, der hier allgegenwärtig ist, der steckt jeden an. Und deswegen schreiben so viele Bands Lieder über diese Stadt und das Gefühl, das hier herrscht."
Heimweh nach Köln, obwohl man dort ist
Dass Köln so stark besungen wird, gibt es nicht erst seit Kurzem. Einer der berühmtesten Kölner Musiker ist Willi Ostermann. Schon in den 1920-er und 30-er Jahren sang er von Köln, von der Sehnsucht nach der Domstadt und der Heimat: "Wenn ich so an meine Heimat denke, und sehe den Dom so vor mir stehen, möchte ich direkt in Richtung Heimat schwenken, ich möchte zu Fuß nach Köln gehen". Und alle Kölner singen mit - noch heute, selbst wenn sie mitten in der Stadt sind, nach der sie sich so sehnen. Und das am liebsten alle zusammen.
Das Zusammengehörigkeitsgefühl kann in Köln sehr schnell aufkommen: Pappnase an, Fanschal des 1. FC Köln umhängen, gemeinsam das Lied vom "Veedel" (Stadtviertel) singen - schon hat man sich das "kölsche Jeföhl" übergestülpt. Ist dies denn wirklich echte Heimat?
Der Historiker Carl Dietmar beschäftigt sich seit langem mit der Kölner Stadtgeschichte. Seit 1969 lebt er hier und schafft es auch nach gut 50 Jahren noch, die kölsche Lebensart mit einem gewissen Abstand zu betrachten. Und stellt fest, dass das "Zusammenrotten" - das Gemeinsame mit Gleichgesinnten, und das am liebsten nur in Köln - ein Hauptbestandteil des kölschen Heimatgefühls ist. Daher würde Dietmar auch eher mit verschiedenen Heimatbegriffen arbeiten. Denn das Heimatgefühl in Köln sei ein ganz anderes als das in Bayern etwa. Das könne man dem neuen Minister für Heimat, Herrn Seehofer, "ruhig auch mal sagen, dass das Heimatbewusstsein regional ganz unterschiedlich ist", schlägt der Historiker vor.
Während man die Bayern durchaus verstehen kann, wenn sie ihre Heimat mit ihren eindrucksvollen Landschaften verehren, kann man sich in Köln durchaus fragen: Was lieben diese Menschen eigentlich an dieser hässlichen Stadt? Die Antwort ist kölsch-pragmatisch und inzwischen ein geflügeltes Wort geworden: "Köln ist keine Schönheit. Köln ist ein Gefühl!"
Uralte Festungsstadt
Zu diesem Fixiertsein auf die eigene Stadt hat Carl Dietmar eine interessante These, die er aus der Geschichte Kölns herleitet: "Bis 1907 war Köln die größte Festungsstadt Deutschlands. Sie war umgeben von einem Wall - die Straßennamen zeugen heute noch davon: Eifelwall, Zülpicher Wall und so weiter. Das war ein Festungsring. Es gab nur etwa 20 Tore, durch die man die Stadt verlassen konnte. Und dann musste man noch 70 Meter durch Militärgelände gehen, wo überall Soldaten rumstanden. Und dann sagte man sich als Kölner schon damals: Da bleibe ich doch lieber zu Hause." Wie gesagt, das sei nur eine These, betont Dietmar augenzwinkernd und fügt hinzu, dass dies zumindest das Desinteresse der Kölner am Geschehen im Umland erkläre. Und ihre Selbstherrlichkeit. "Keiner kann sich selbst so gut auf die Schulter klopfen wie der Kölner."
Perfekt integriert
In der Weidengasse, einer türkischen Einkaufsstraße am Eigelstein - einem der ältesten Stadtviertel Kölns - treffe ich den Journalisten und Autor Baha Güngör. Er ist im Rheinland aufgewachsen und hat in Köln seine journalistische Ausbildung gemacht, als erster Türke bei einer deutschen Zeitung. 1976, als die Türken noch "Gastarbeiter" genannt wurden, zog Güngör nach Köln, und entdeckte die Weidengasse. Ein junger türkischer Mann, der hervorragend Deutsch konnte und sich sowohl mit Deutschen als auch mit Türken super verstand, war damals eine Seltenheit. Er fand - und das schätzt er bis heute an den Kölnern - sehr schnell Anschluss.
Aus beruflichen Gründen hat es ihn auch in andere rheinische Städte verschlagen, auch nach Bonn - doch nun zieht er zurück nach Köln und freut sich darauf. Ich möchte wissen, was er empfindet, wenn er nach einer langen Reise den Dom sieht. "Oh. Den Dom vermisse ich oft. Ich gehe häufig in den Dom, auch um eine Kerze für den FC anzuzünden." Zum ersten Mal habe er den Dom als Kind gesehen und hatte Angst vor diesem großen schwarzen Gebäude. Bis seine Großmutter ihm erklärte, dass dies eine "Moschee für Christen" sei. "Und das bedeutet der Dom bis heute für mich."
Zwischen Heimat und Zuhause
Das "kölsche Gefühl" ist für Güngör definitiv der 1. FC Köln. Güngör jubelt und leidet mit dem FC wie andere Kölner auch. Der Verein wird höchstwahrscheinlich in dieser Saison zum sechsten Mal in seiner Vereinsgeschichte in die zweite Liga absteigen. "Aber", so Güngör, "der kommt immer wieder hoch. So ist es den Kölnern schon immer ergangen, mit den ganzen Besatzungsmächten, den Franzosen, den Preußen und so weiter, die hier ständig durchmarschiert sind. Die Kölner aber haben immer gesagt: Es ist ja immer gutgegangen."
Güngör arbeitet gerade an seinem neuen Buch, in dem er über sein Leben zwischen Heimat und Zuhause schreibt: "Köln und das Rheinland sind mein Zuhause, ich fühle mich hier wahnsinnig wohl. Aber wenn ich an Heimat denke, denke ich an Istanbul. Die multikulturelle Stadt. Was Köln ja auch ist."
Eine Stehaufmännchen-Mentalität also, die ihresgleichen sucht, eine Unverbindlichkeit, die eine höhere Toleranzgrenze als woanders zulässt und ein schier unzerstörbares Zusammengehörigkeitsgefühl - mit rückwärtsgewandtem Denken hat das nichts zu tun. Die jungen Kölner Bands, die Zeilen wie "Es gibt kein Wort, das sagen könnte, was ich fühle, wenn ich an Köln denke", oder "Mein Kompass zeigt immer nach Köln" singen, haben überhaupt keine Berührungsangst mit dem Wort "Heimat".
Auch FIASKO nicht. Mit "verstaubt" habe das nichts zu tun, meint Gitarrist Henning: "Der Begriff weckt ja etwas im Kopf der Leute. Wie man das Wort letztendlich definiert, ist jedem selber überlassen."
Dieser Artikel entstand im April 2018. Am 23. November 2018 ist Baha Güngör nach einer kurzen und schweren Krankheit verstorben. Leider hat er sein letztes Buch nicht mehr fertig schreiben können. (S.W.)