Wo sind Europas Online-Start-ups?
21. April 2013
Es ist das perfekte Aschenputtel-Märchen für viele Webunternehmer: Alibaba. Ein chinesischer Online-Marktplatz, den der Lehrer Jack Ma in seiner Wohnung gründete und der von dort aus jetzt die Welt erobert. Das Magazin "The Economist" schätzte Alibabas Online-Umsatz im letzten Jahr auf 130 Milliarden Euro – mehr als Amazon und Ebay zusammen. Und während Alibaba immer weiter wächst, fragen sich diejenigen, die auf den Erfolg europäischer Start-ups hoffen: Warum ausgerechnet China? Was hat Alibaba, was europäische Start-ups nicht haben?
Zunächst hat das Unternehmen einen sehr großen potentiellen Markt - Chinas Onlinemarkt ist derzeit auf dem Weg, der größte weltweit zu werden.
Europäische Start-up-Unternehmen haben auf der anderen Seite mit dem Fehlen eines einheitlichen digitalen Marktes zu kämpfen. Sie müssen sich ihren Weg durch die verschiedenen Gesetzgebungen und die verschiedenen Sprachen der 27 EU-Mitgliedsstaaten schlängeln.
Aber es gibt noch mehr Gründe für die fehlenden europäischen Start-ups. Einige Experten sagen, dass europäische Investoren das Online-Wirtschaftsmodell schlicht nicht verstünden - ein Modell, das nicht auf direkter Rendite basiert.
Innovation oder Stillstand?
Die Europäische Kommission setzt sich stark dafür ein, dass ein Bewusstsein dafür entsteht, wie wichtig Investitionen in Innovation sind. Marie Geoghegan-Quinn, EU-Kommissarin für Wissenschaft, Innovation und Forschung, provozierte letzten Oktober bewusst: Sie hielt eine Rede bei der Eröffnung der "StartUp Europa" Initiative – einem Programm, das europäische Start-ups fördern soll. Damals sagte sie, dass bei Europas großen Firmen keine großen Innovationen zu finden seien. "Wir müssen den Wettbewerb eingehen und in wichtigen Sektoren Vorreiter sein: bei der Nano-Technologie, der Robotertechnik, der sauberen Energie und den Biowissenschaften", sagte die Kommissarin. "Wir brauchen mehr mittelgroße Firmen, die in der Lage sind, Positionen in Nischenmärkten einzunehmen." Also genau die technischen Start-ups, die europäische Investoren öfter mal übersehen.
Ein weiteres Argument der Kommissarin Geoghegan-Quinn: Länder, die Innovationen unterstützen, seien in harten Zeiten belastbarer. "Wir haben gesehen, dass Länder wie Deutschland und Singapur, also Länder, die die Innovation in das Zentrum ihrer Wirtschaftspolitik gestellt haben, ökonomisch stürmische Zeiten besser überstehen", sagte sie. "Wir hatten das Waffen-Rennen, wir hatten das Rennen ins Weltall, jetzt stecken wir mitten in einem globalen Rennen um Innovationen." Doch europäische Investoren seien bisher eher zurückhaltend gewesen, wenn es darum ging, junge technologische Start-ups zu unterstützen.
Ideengeber wandern ab
Ann Mettler ist Vorsitzende des Lisbon Councils, einer Denkfabrik für wirtschaftliche Fragen in Brüssel. Sie sagt, dass die Zurückhaltung der europäischen Investoren dazu geführt habe, dass europäische Start-ups woanders nach Möglichkeiten suchten: "In San Francisco gibt es ein Start-up, das vom belgischen Unternehmer Xavier Damman gegründet wurde", sagt Mettler. "Es heißt Storify. Damman hatte viele Jahre versucht, hier in Belgien damit Fuß zu fassen. Es hat nie geklappt. Er ging nach San Francisco, schloss sich mit anderen Leuten zusammen und sie aquirierten Investitionen in Höhe von ein bis zwei Millionen Dollar."
"Ich erinnere mich wie ich Xavier fragte: Was hast du gemacht? Hast du einen Geschäftsplan geschrieben? Und er sagte: ' Vergiss Geschäftspläne. Der Investor fragte: Wie bindest du deine Nutzer an die Seite? ' Es geht also darum, dass die Leute dein Produkt nutzen, auch, wenn du es nicht sofort zu Geld machen kannst. Das ist ein neues Geschäftsmodell." Den europäischen Unternehmern wünscht sie mehr Mut - und mehr Weitsicht. "Hier in Europa haben wir sehr lange gebraucht, um zu verstehen, dass die Tatsache, dass man ein Produkt umsonst rausgibt, nicht zwangsläufig heißt, dass man später nicht auch Geld damit machen kann."
Große Ideen, kleine Anfangsschritte
Europas Herausforderung sei es nun, die Idee der sogenannten "kleinen Multinationalen" besser zu fördern. Die Beschreibung "kleine Multinationale" klingt zwar wie ein Widerspruch in sich, doch Mettler glaubt, dass genau diese Unternehmen ein gutes Konzept seien: "Kleine Multinationale sind im Grunde von Beginn an Multinationale; dank der digitalen Technologie, besonders dem Internet", sagt Mettler. "Früher hatten Multinationale zunächst ihren Sitz in einer bestimmten Region eines Landes und sind dann von dort aus größer geworden, zuerst national, dann expandierten sie vielleicht in Europa und irgendwann wurden sie weltweit.", so Mettler. Dieser Prozess dauerte normalerweise mehrere Jahre, teilweise sogar Jahrzehnte. Heutzutage könne man dagegen von Beginn an rund um den Globus handeln. Diese neuen Unternehmen müssten sich nicht mit den Problemen rumschlagen wie früher die Großen, so Mettler. "Große Unternehmen neigen dazu etwas langsam zu sein. Die neuen Start-ups dagegen sind sehr schnell. Sie können auf neue Kundenwünsche sofort reagieren. Außerdem können sie ihr Wissen und Talent in weltweit schöpfen. Alles ist möglich", sagt Mettler.
Das bedeutet aber für die EU und vor allem für die Regierungen der Mitgliedsstaaten auch, dass sie nun vor der Herausforderung stehen, diesen kleinen Multinationalen, das richtige ökonomische Umfeld zu bieten. Denn viele in der Industrie glauben jetzt, dass demnächst auch "kleine Multinationale" aus Europa von sich reden machen könnten. Und vielleicht wäre es auch langsam an der Zeit dazu.