Wohin mit all dem Wohlstand?
10. September 2013Vom Garten aus sieht man durch ein paar Bäume hindurch bis hinunter auf den Trondheim-Fjord. Das Wasser glitzert golden, die Sonne geht langsam unter. Es ist ein kühler Spätsommerabend in der norwegischen Kleinstadt Stjørdal, rund 30 Kilometer östlich von Trondheim. In den schmucken Einfamilienhäusern der Neubausiedlung Geving gehen langsam die Lichter an, im Garten machen sich die Mücken auf die Suche nach einer Mahlzeit. Rune Vist lehnt sich an das Balkongeländer, nimmt einen Schluck aus der Bierflasche, und schaut hinunter auf den Fjord.
"Hier zu leben ist besser für die Familie", sagt er. "Ein schönerer Ort für die Kinder. Außerdem ist es hier ruhiger und entspannter - mehr Lebensqualität." Der 41-jährige Finanzmakler arbeitet bei einer großen norwegischen Bank in Trondheim. Jeden Morgen fährt er mit dem Bus in die Stadt, am Nachmittag gegen 16 Uhr geht es zurück zur Familie.
Ganz Norwegen baut
Nachdem sie fast zehn Jahre in Oslo gelebt haben, sind Vist und seine Frau Nina mit ihren beiden kleinen Töchtern gerade erst in ihr neues Heim eingezogen. Ein Fertighaus aus dem Katalog: Hell, modern, große Glasfronten, innen großzügig geschnitten mit hohen Decken. 250 Quadratmeter Wohnfläche, verteilt auf drei Etagen. Viel Platz, der allerdings seinen Preis hat.
Vists Frau Nina ist auch nach draußen gekommen. Sie braucht Hilfe mit dem Tablet-PC ihrer fünfjährigen Tochter. "Wir haben sechs Millionen Kronen für unser Haus bezahlt", erzählt sie. Das sind rund 750.000 Euro. Immobilienpreise einer norwegischen Kleinstadt können mühelos mit dem Niveau deutscher Großstädte mithalten. Trotzdem wird überall in Stjørdal gebaut. "Die Einwanderung von Arbeitskräften nach Norwegen ist zurzeit sehr hoch", sagt Rune Vist. "Es gibt zu wenige Immobilien. Daher lohnt es sich zurzeit, Häuser zu kaufen, um sie zu vermieten."
Die meisten Norweger investieren aber lieber in ihr eigenes Heim. So wie die Vists und ihre Nachbarn, ein junges Paar mit zwei Kindern, das bereits zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit ein Haus gekauft hat. Auch junge Familien bekommen in Norwegen sehr einfach Kredite - lediglich etwas Eigenkapital muss vorhanden sein und ein Arbeitsvertrag. Und Arbeit hat in Norwegen so gut wie jeder. Die Arbeitslosenquote liegt landesweit nur knapp über drei Prozent - in Stjørdal ist sie sogar noch niedriger. Die beiden Nachbarn, Atle und Lina Eikedal, sind beide berufstätig. Sie ist Stewardess, er arbeitet in der Verwaltung des Trondheimer Flughafens. Nach getaner Gartenarbeit verladen sie jetzt gemeinsam mit Atles Vater Stig einen Rasenmäher auf einen Anhänger. Der hinterm Neubau ausgesäte Rasen musste zum ersten Mal geschnitten werden. Alle drei grüßen freundlich herüber.
Jammern auf hohem Niveau
Leicht finanzierbare Häuser, kaum Arbeitslosigkeit und jedes Mal, wenn es um die höchste Lebensqualität in Europa geht, steht Norwegen meist ganz oben in der Liste. Hat die norwegische Bevölkerung denn überhaupt keine Probleme? Laut Stig Eikeland schon: "Unsere Straßen sind schlecht, das Eisenbahnsystem auch", redet der Frührentner sich in Rage. Zudem sollten die Bettler endlich von der Straße verschwinden. "Und außerdem sollte ein größerer Prozentanteil aus dem Ölfonds in die Sozialsysteme fließen. Geld ist doch genug da. Warum investieren wir es nicht hier im Land?"
Schlaglöcher in den Straßen, einige illegale Einwanderer aus Osteuropa, die betteln, und Uneinigkeit darüber, wie viel Geld man für schlechte Zeiten sparen soll, statt es sofort ins Sozialsystem fließen zu lassen? Probleme, um die sich andere Staaten reißen würden. In Norwegen sind aber genau das zentrale Themen. Der amtierende Staatsminister Jens Stoltenberg von der sozial-demokratischen Arbeiterpartiet gilt seinen Landsleuten als zu zögerlich. Bei der Parlamentswahl am Montag (09.09.2013) hat er dann auch seine Mehrheit im Parlament verloren. Zwar machte Stoltenberg nach dem Utøya-Massaker vor zwei Jahren eine gute Figur und hielt besonnen an der offenen Gesellschaft der Norweger fest, doch in Sachen Infrastruktur- und Sozialpolitik hat er viele Erwartungen nicht erfüllt. Viele Norweger würden das Sozialsystem gerne gestärkt sehen, indem mehr Geld aus dem staatlichen Ölfonds investiert wird. In ihn fließen die Einnahmen aus der Förderung von Gas und Öl vor der norwegischen Küste. Ein Thema, bei dem sich auch Rune Vist gut auskennt.
Ein Riesenhaufen Geld
"Der staatliche norwegische Ölfonds ist zweigeteilt: Ein kleinerer Teil wird im Inland investiert und bildet die öffentliche Alters- und Sozialversicherung. Der andere, größere Teil wird nur für Investitionen im Ausland genutzt", erläutert Vist das Prinzip. Als er noch in Oslo arbeitete, beriet er große Unternehmen bei ihren Investitionen, darunter auch den staatlichen Ölfonds für das Ausland. Und dabei ging es nicht gerade um kleine Summen: "Der Ölfonds besitzt zwischen einem und zwei Prozent aller Aktien in ganz Europa", sagt Vist. "Norwegen ist damit weltweit der größte öffentliche Investor." Rund 560 Milliarden Euro soll der Fonds momentan schwer sein. Ein beruhigendes Ruhekissen für schlechte Zeiten, wenn sie denn irgendwann einmal kommen sollten.
Und das Vermögen wächst stetig, schließlich wird es gut angelegt. "Der Investitionsschlüssel liegt heute bei 60 Prozent Aktien, 35 Prozent Anleihen und fünf Prozent Eigentum", so der Finanzexperte. "In der letzten Zeit hat der Ölfonds in London, der Schweiz und in den USA im großen Stil in Immobilien investiert. In London wurde ein Teil der Regent Street gekauft, eine große Einkaufsstraße. In der Schweiz war es die Konzernzentrale von Credit Suisse in Basel und in den USA ebenfalls ein paar Einkaufszentren und ähnliches." Als weitsichtiger Anleger sei Norwegen eben der Meinung, dass es sinnvoll sei, auch in Immobilien zu investieren.
Sinnvolle Investitionen? Ganz falsch kann sein Heimatland nach Rune Vists Meinung damit jedenfalls nicht liegen, schließlich hat er selbst auch gerade viel Geld in eine Immobilie investiert - für eine ruhige und unbeschwerte Zukunft am Fjord.