Wohin mit dem "Zentrum gegen Vertreibungen"?
3. September 2003In Deutschland ist eine lebhafte Debatte über das angemessene Gedenken an die Opfer von Flucht und Vertreibung am Ende des Zweiten Weltkrieges entbrannt. Schon vor drei Jahren hat der "Bund der Vertriebenen" eine Stiftung "Zentrum gegen Vertreibungen" gegründet. Mitten im politischen Hochsommer überraschte diese Stiftung die Öffentlichkeit mir der Ankündigung, im Berliner Stadtteil Kreuzberg einen ehemaligen Luftschutzbunker erwerben zu wollen. Dort wolle man ein Gedenk- und Dokumentationszentrum zum Thema Vertreibungen errichten.
Regierung schaltet sich ein
Mittlerweile wird darüber bis in die Spitzen von Regierung und Parlament hinein diskutiert und die Verteilung von Gegnern und Befürwortern diese Projektes verläuft in der Öffentlichkeit keineswegs parallel zu den herkömmlichen Rechts-Links Einteilungen oder zu Parteizugehörigkeiten. Die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, ist CDU-Bundestagsabgeordnete, der Vorsitzende der "Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen" aber der langjährige Bundesgeschäftsführer der SPD, Peter Glotz.
Die Gegner des Stiftungs-Projektes bemängeln vor allem den Standort Berlin. Man solle solch ein Projekt doch schon durch die Standortwahl von einer deutschen auf eine europäische Ebene heben. Also das Zentrum eher an der deutsch-polnischen Grenze ansiedeln oder im ehemals deutschen Breslau, dem heutigen Wroclaw. Für den Literaturnobelpreisträger Günter Grass ist Breslau "eine
Möglichkeit". Lieber sei ihm aber Frankfurt an der Oder oder Görlitz. Berlin halte er für keinen geeigneten Standort, sagte er im August 2003 dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Ein Vertriebenen-Mahnmal sei "eine europäische, keine nur deutsche Aufgabe", mahnte der in Danzig geborene Autor.
Ängste in Polen
Kritiker wie der frühere polnische Außenminister Wladyslaw Bartoszewski lehnen die Gedenkstätte ab - wegen einer "gegen Polen gerichteten selektiven Erinnerungskultur". Zudem kommen Befürchtungen, deutsche Vertriebenenverbände könnten nach einem EU-Beitritt Polens Besitzansprüche anmelden. Auch der polnische Staatspräsident Aleksander Kwasniewski plädiert für ein "europäisches Konzept". Die polnischen Kommentare in Bezug auf die Vertreibung der Deutschen reichen von der Ansicht, dies sei eine eher noch zu geringe Strafe für die Naziverbrechen gewesen, bis hin zur Einschätzung des ehemaligen polnischen Botschafters in Deutschland, Janusz Reiter, man sehe die Vertriebenen nicht mehr als Feinde, sondern "fast als unsere Lobby in Deutschland - weil ihnen Polen nicht gleichgültig ist."
Kanzler ist dagegen
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat sich nun öffentlich gegen den Standort Berlin für ein "Zentrum gegen Vertreibungen" ausgesprochen. "Weil ein Zentrum in Berlin Gefahr liefe, allzu einseitig das Unrecht – und als solches muss man es bezeichnen – das Deutschen widerfahren ist, in den Vordergrund der Debatte über Vertreibungen zu stellen, und dabei zu sehr auszublenden, welches die historischen Ursachen sind." Ähnlich äußerte sich auch Außenminister Joschka Fischer. Er befürchte, dass eine möglicherweise zu enge deutsche Sicht auf das Thema die Nachbarn im Osten brüskieren könnte.
Dagegen beharrt die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, Steinbach, auf ihrem Standpunkt, dass das Konzept der Stiftung genau diese Kritikpunkte von vornherein ernst genommen habe. Man wolle weder den historischen Kontext ausblenden noch das Leiden anderer Völker verschweigen.
Kein Mahnmal
Der Vorsitzende der Stiftung, Peter Glotz, sagte nun gegenüber DW-WORLD: "Der Kanzler hat sich schon vor drei Jahren dagegen ausgesprochen. Da gibt es für uns jetzt nur zwei Möglichkeiten: Entweder er ändert seine Meinung oder es wird in dieser Legislatur-Periode nichts." Denn obwohl die Stiftung laut eigenen Angaben bereits Spenden im siebenstelligen Bereich eingeworben hat, ist ganz ohne staatliche Hilfe der ambitionierte Plan wohl nicht zu verwirklichen.
Die Argumente gegen Berlin hält Peter Glotz für kurzsichtig. Wenn man der Argumentation der Gegner folgen würde, dann dürfe man erst recht keine deutsche Regierung in Berlin arbeiten lassen, bemerkt Glotz süffisant. "Da sind wohl eher außenpolitische Rücksichten im Spiel". Man wolle sich wohl einfach Ärger ersparen. "Aber jedes Land hat das Recht seine eigene Geschichte darzustellen", so Glotz. "Wir sind sehr für eine Diskussion mit den Gegnern unseres Projektes". Schließlich solle es ein lebendiges Zentrum werden, ein ständiges Diskussionsforum auch für aktuelle Fälle von Flucht und Vertreibung.
Tatsächlich werden noch viele Diskussionen kommen: Mit dem Erwerb des Berliner Bunkers für die Stiftung wird es höchstwahrscheinlich nichts. Die für einen solchen Verkauf zuständigen Berliner Landesbehörden haben bereits ihre Ablehnung angekündigt.