Wohin steuert der VW-Konzern?
26. April 2015Ferdinand Piëch hatte durch den Machtkampf um die Volkswagen-Spitze offenbar das Vertrauen verspielt - und muss sich nach Jahren als Chefaufseher zurückziehen. Der 78 Jahre alte VW-Patriarch trat am Samstag mit sofortiger Wirkung von seinem Kontrolleursposten zurück. Auch Piëchs Ehefrau Ursula gibt ihr Mandat in dem Kontrollgremium ab. Mit Piëchs Rücktritt steht der Konzern vor einer Zeitenwende. Der frühere IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber übernimmt im Aufsichtsrat kommissarisch den Vorsitz.
Zerrüttetes Verhältnis
Das Präsidium des VW-Aufsichtsrats sprach im Zusammenhang mit dem Rücktritt Piëchs am Samstag von einem zerrütteten Verhältnis: "Die Mitglieder des Präsidiums haben einvernehmlich festgestellt, dass vor dem Hintergrund der vergangenen Wochen das für eine erfolgreiche Zusammenarbeit notwendige wechselseitige Vertrauen nicht mehr gegeben ist", hieß es in der eher ungewöhnlich offenen Erklärung. Ähnlich deutliche Worte nutzte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, der in Hannover für die VW-Kapitaleigner Stellung nahm: "Die Diskussion der vergangenen zwei Wochen ist schädlich gewesen für Volkswagen. Es gab eine Flut von Personaldebatten. Das Präsidium musste deshalb die notwendige Klarheit schaffen."
Huber hat nach Weils Worten "die ausdrückliche Unterstützung der Anteilseigner". Das Land Niedersachsen ist nach den Familien Porsche und Piëch der zweitwichtigste VW-Aktionär. Auch Huber sprach von einem Vertrauensverlust zwischen Piëch und dem Rest des Präsidiums, "der sich in den letzten Tagen als nicht mehr lösbar erwiesen hat".
Piëch galt über viele Jahre als der mächtigste Mann bei VW. Vor rund 14 Tagen hatte er das interne Ringen um die Zukunft der Konzernspitze öffentlich gemacht, indem er dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" sagte, er sei "auf Distanz" zum Volkswagen-Chef Martin Winterkorn. Damit rückte Piëch völlig überraschend von seinem langjährigen beruflichen Ziehsohn ab.
Die Entmachtung des Patriarchen ist nun das Finale eines tagelangen Ringens um die Einflussnahme an der Spitze des größten europäischen Autobauers. Piëchs Rücktritt war am Samstagnachmittag ein erneutes Krisentreffen der sechsköpfigen Aufsichtsratsspitze vorausgegangen. Das Gremium versammelte sich nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur in Braunschweig am Flughafen. Am Ende der mehrstündigen Beratungen stand fest, dass Piëch gehen wird.
"Den größten Respekt"
Ein Insider der Vorgänge im Aufsichtsrats-Präsidium sagte der dpa: "Vor Piëchs Entscheidung haben sicherlich alle den größten Respekt." Der Sprecher der Familie Porsche, Wolfgang Porsche, erklärte: "Wir haben volles Vertrauen in die Unternehmensführung der Volkswagen AG und bedauern die Entwicklung der letzten Tage." Porsche dankte Piëch "für die Jahrzehnte seines außergewöhnlichen und höchst erfolgreichen Einsatzes". Die Porsches halten über die Familien-Holding PSE zusammen mit dem Piëch-Familienzweig gut 50 Prozent der Stimmrechte bei Volkswagen. Wolfgang Porsche ist der Chef im PSE-Aufsichtsrat. Piëch ist der Enkel von Ferdinand Porsche, dem legendären Konstrukteur des VW Käfer.
Bis zu Piëchs Attacke war der 67-jährige Vorstandschef Winterkorn als Piëch-Nachfolger an der Spitze des Aufsichtsrates gehandelt worden. Mit der Demontage durch Piëch stand plötzlich ein Fragezeichen vor Winterkorns Zukunft im Konzern. In der Folge geriet Piëch aber selber zunehmend unter Druck.
Bei der Suche nach einem Nachfolger für Piëch an der Spitze des Aufsichtsrates will sich das Gremium Zeit lassen. "Der Aufsichtsrat ist arbeitsfähig, das Management ist voll funktionsfähig", sagte Weil. Es gebe keinen Grund zur Eile - Ziel sei es, dass das Gremium einen einstimmigen Vorschlag unterbreite. Ob Winterkorn dabei eine Rolle spiele, wollten weder Weil noch Huber kommentieren. "Wir werden dazu keine Aussagen machen. Wir wollen keine Personaldebatte mit einer anderen ablösen", betonte Weil.
Was macht Winterkorn?
Winterkorn könnte nun zum starken Mann in Wolfsburg werden. Am Freitag vergangener Woche hatte sich das Aufsichtsrats-Präsidium zu einem ersten Krisentreffen in Salzburg versammelt - mit dabei war neben Piëch auch Winterkorn. Am Tag darauf veröffentlichte das Präsidium eine Erklärung, die sich wie eine Ehrenrettung Winterkorns las. Demnach ist er der "bestmögliche" Vorstandschef und soll nächstes Frühjahr sogar eine weitere Vertragsverlängerung erhalten.
Das war der Beginn der Niederlage für Piëch, der in dem sechsköpfigen Präsidium nach Agenturinformationen isoliert vor einer Mehrheit von 5:1 gegen ihn stand. Am vergangenen Donnerstag hieß es dann plötzlich, dass Piëch versuche, den Beschluss des Sextetts zu unterwandern. Demnach arbeitete er hinter den Kulissen weiter an der Ablösung Winterkorns, der nach Piëchs Willen noch vor der Hauptversammlung am 5. Mai abtreten soll. Doch auch mit dem dann folgenden öffentliche Satz konnte Piëch die Situation nicht mehr umdrehen: "Ich betreibe die Ablösung von Martin Winterkorn nicht."
ml/haz (dpa,rtr)