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Ich sing euch was

15. November 2011

Bundespräsident Horst Köhler hat Wolf Biermann einmal einen "politischen Entertainer mit Mut zu starken Meinungen und heftigen Irrtümern" bezeichnet. Solche Stimmen brauche unser Land. Nun wird der Liedermacher 75.

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Wolf Biermann (Foto: DW)

Wolf Biermann feiert seinen 75. Geburtstag auf der Bühne. Beinahe jedenfalls. Denn zwei Tage vor dem Jubeltag gibt er im Berliner Ensemble ein Konzert und Theaterchef Klaus Peymann macht, was man eigentlich nicht tut: er gratuliert schon mal ganz herzlich und verschenkt weiße Rosen. Zum Geburtstag und irgendwie auch zur Erinnerung an Biermanns legendäres Kölner Konzert, das auf den Tag genau vor 35 Jahren den Anfang vom Ende der DDR-Bürgerschaft des Liedermachers markierte.

Gegen den Strom

Mit sechzehn war Wolf Biermann, der Hamburger Abeitersohn (geb. 15.11.1936), in die DDR übergesiedelt - aus Liebe zum Kommunismus und um den ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaat mit aufzubauen. Das klappte anfangs auch bestens. An der Humboldt-Universität konnte Biermann Politische Ökonomie sowie Philosophie und Mathematik studieren, er war Assistent am Berliner Ensemble, und als er dann anfing zu komponieren, gefielen seine Lieder sogar Hanns Eisler, dem musikalischen Weggefährten Bertolt Brechts. Bloß der Obrigkeit, der gefiel bald nicht mehr, was der schnauzbärtige freche Biermann da so schreiend, flüsternd, grölend von sich gab. Schöne, wunderschöne Volkslieder, die ihren Weg selbst durch Gefängnisgitter fanden, sich in Hirnen und Herzen festsetzen und mit Engelszungen von einem besseren Sozialismus sangen.

Langer Atem

Biermanns 1961/62 aufgebautes "Arbeiter- und Studententheater" wurde noch vor der ersten Premiere geschlossen, 1963 folgte ein sechsmonatiges Auftrittsverbot und sodann der Parteiausschluss. Womit es eigentlich erst so richtig losging: 1965, nachdem in West-Berlin der Gedichtband "Die Glasharfe" erschienen war, warfen die DDR-Behörden dem Künstler Klassenverrat vor und verhängten ein generelles Auftritts- und Publikationsverbot. "Warte nicht auf bessere Zeiten" sang Wolf Biermann fortan nur noch zu Hause, bei Konzerten in seiner Wohnung in der Chausseestraße 133, in der die Unzufriedenen und Kritischen in den kommenden elf Jahren ein und aus gingen. Und Wolf Biermann, den Schalk im Nacken und den Zorn auf der Zunge, hielt durch und tat den Oberen alles andere als den Gefallen, zu verstummen und zu zerbrechen. Erst im September 1976 durfte er wieder öffentlich auftreten, in der Prenzlauer Nikolaikirche hat er ein Konzert gegeben.

Wolf Biermann singt am 13.11.1976 in der Kölner Sporthalle (Foto: dpa)
Wolf Biermann am 13.11.1976 in der Kölner SporthalleBild: picture-alliance/ dpa

"Ich möchte am liebsten weg sein und bleibe am liebsten hier", schrieb der aufmüpfige Kämpfer in seiner Ballade vom Preußischen Ikarus. Öffentlich gesungen hat er das Lied dann in Köln, wo eine Tournee durch Westdeutschland begann. Da hatten die DDR-Behörden längst beschlossen, dass es nun reichte mit diesem Provokateur, der sich unentwegt und immer schärfer, weil enttäuschter, einmischte in die Politik. Am 16. November 1976 melden die Aktuelle Kamera und die Sender des Staatlichen Rundfunks der DDR die Ausbürgerung Wolf Biermanns.

Ende Anfang Umbruch

"Nun bin ich 30 Jahre alt und ohne Lebensunterhalt", sang der aus der Bahn Geworfene. Er habe, erzählt er heute, mehrere Jahre gebraucht, um in der neuen Gesellschaft Fuß zu fassen und sich künstlerisch auszudrücken. Aber kaputt gehen wollte er auch jetzt nicht, aus treuem Hass zu den alten Feinden in der DDR. Die hatten mächtig an ihm zu beißen, obwohl er nun weg war. Denn kurz nach Biermanns Ausbürgerung protestierten 13 Künstler aus dem Ost-PEN öffentlich und verfassten eine Petition. Die DDR-Regierung sollte ihren Entschluss rückgängig machen, forderten etwa Christa Wolf, Sarah Kirsch, Franz Fühmann, Stefan Hermlin und Jurek Becker. Viele andere verteilten Flugblätter und solidarisierten sich. Es folgten Inhaftierungen, Berufsverbote, Ausreisen. Der Fall Biermann hatte das Gefüge der DDR durcheinander gebracht.

Nur wer sich ändert, bleibt sich treu

Wenn er heute auf der Bühne steht, schlank, drahtig, verschmitzt und sprühend vor Leben, dann zupft er noch wie damals die klirrenden Saiten seiner Gitarre und verlacht Freiheitsfeinde und menschliche Niedertracht. Er wettert gegen Oskar Lafontaine und dessen jüngste Liebe, die rosarote Sahra Wagenknecht, erinnert melancholisch an alte Freunde und Weggefährten und singt "Nur wer sich ändert, bleibt sich treu". Zahmer ist er geworden, der Wolf Biermann, aber kein Lamm. Kommunist ist er nicht mehr, aber ein streitbarer Kritiker ist er geblieben. Einer, der bis heute mit dem Unrecht der DDR scharf ins Gericht geht, der den Nato-Einsatz im Kosovo befürwortete und den US-Einsatz im Irak. Im Westen, dem demokratischen, hat er für sein Schaffen Preise erhalten, und Berliner Ehrenbürger wurde er auch.

"Ich suche Ruhe und finde Streit", singt Wolf Biermann. Und dann grinst er wieder, leise und wissend. Gerade ist das ganze Kölner Konzert von 1976 auf DVD erschienen, er hat eine neue CD herausgegeben und ein dickes Liederbuch, das den schönen Titel trägt: "Fliegen mit fremden Federn". Darin enthalten sind auch ungeheuer komische Lieder. Und wenn Wolf Biermann so eines singt, dann klatscht man sich vor Vergnügen auf die Schenkel und denkt, der da mit seiner Gitarre und seiner Lebenslust und all dieser Kraft, der kann doch unmöglich 75 sein!

Autorin: Silke Bartlick
Redaktion: Gudrun Stegen