Wolfgang Schäuble: Italien wird es schaffen
9. Dezember 2016„Ich bin zuversichtlich: Sie schaffen das." Natürlich, die erste Frage an den deutschen Finanzminister bezieht sich auf Italien, das in diesen Tagen das größte Sorgenkind der Europäischen Union. Da mäandert Wolfgang Schäuble eine Weile. Er wolle den Weltuntergang "nicht vorhersagen" und kenne ihn auch nicht. Mehr noch: Er bleibe trotz der italienischen Ablehnung von Renzis Reformplänen optimistisch.
"Die Italiener haben immer eine große Fähigkeit bewiesen, auf schwierige Situationen mit einer gewissen Flexibilität zu reagieren." Das sei "nicht unbedingt" eine deutsche Stärke. Aber deswegen habe er "ein gewisses Vertrauen". Das Land – da spricht der Kollege über den Kollegen - hat "einen ausgesprochen klugen Finanzminister". Italien sei auf einem guten Weg. "Ich glaube, sie werden es schaffen."
Der Bundesfinanzminister, einer der dienstältesten Politiker Europas, ist ins Berliner Rote Rathaus gekommen, um im Vortrag und Gespräch mit dem Leiter des Brüsseler Studios der Deutschen Welle, Max Hofmann, Schülern und Interessierten das europäische Arbeiten und die Lage des Euro zu erklären. Es ist die 100. und letzte Veranstaltung einer bundesweiten "Euro-Infotour 2016" des Vereins "Bürger Europas", kräftig unterstützt vom Finanzministerium. Mehrere Schulklassen sind im Raum, lauschen aufmerksam.
Offene Grenzen, viele Konflikte
Auch eine Rede zum Thema Europa beginnt mit großen Welt-Themen. Syrien, die Wahlen in den USA, die Ukraine, auch die Flüchtlingskrise. "Dass wir an den Grenzen in Europa keine Pässe nicht mehr kontrollieren, war an sich eine der großen Errungenschaften." Mittlerweile gebe es unterschiedliche Interessen und Sichtweisen. Konflikte zwischen den Mitgliedstaaten eskalierten schnell. "Wir arbeiten mit großer Kraft daran, dass wir das besser zusammen zustande bringen." Aber Gespräche auf Chef-Ebene seien immer schwierig angesichts widerstreitender Interessen und der Vorgaben des Lissaboner Vertrags, der Grundlagen der EU regelt.
Der 74-Jährige nimmt die Veranstaltung auch als Chance, junge Menschen zu erreichen. Auch auf die sogenannten sozialen Medien und Donald Trump geht er ein. "Der gewählte US-Präsident ist ein Meister im Twittern. Ob er auch sonst ein Meister ist, müssen wir abwarten."
Dann ermuntert er die jungen Leute angesichts des Brexit und der erschreckend geringen Beteiligung junger Briten am Brexit-Referendum, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Mal mahnt er die Deutschen, sich ihrer guten wirtschaftlichen Lage bewusst zu sein. "Die Reichen werden manchmal so furchtbar reich - das ist manchmal schon schwer zu ertragen." Von außen betrachtet wirke Deutschland wie ein Paradies.
Und auf Nachfrage äußert er sich auch zur Zukunft des Solidaritätszuschlags, den der Bundestag 1991 als eigentlich befristete Abgabe beschlossen hatte. Schäuble schlägt nun vor, die Abgabe – 5,5 Prozent des Steuerbetrags unter anderem aus der Einkommenssteuer – ab 1.1.2020 jährlich um 0,5 Prozentpunkte zu reduzieren, "dann sind wir bis 2030 fertig." Das wäre pro Jahr eine Steuererleichterung von 2,2 Milliarden Euro.
Marode Schulen
Doch erst als Schäuble die nächtlichen Verhandlungen zum Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern schildert und im Nebensatz das Sonderprogramm für marode Schulen nennt, klatschen die Schüler erstmals Beifall. Das sagt viel über Berlins Schulen.
Immer mal wieder kommt Schäubles Verweis auf die schwierigen "Chefsachen" in der EU. Aber zumindest eine Chefsache konnte er nach der Veranstaltung beruhigt mitnehmen. Der Verein "Bürger Europas" gratulierte dem Minister noch zu dessen Ehrung als "Ehrenbürger Berlin", der 119. insgesamt, an gleicher Stelle im Oktober. Und er bekam dafür einen badischen Wein. "Chefsache" steht auf dem Etikett.