Wut und Trauer bei Anhängern von Präsidentin Park
10. März 2017Wo noch vor wenigen Sekunden Marschmusik ertönte und tausende Demonstranten ihre Südkorea-Flaggen schwenkten, herrscht nun gespenstische Stille. Die Gesichter der Park Geun-hye Anhänger, fast allesamt im fortgeschrittenen Seniorenalter, wirken fassungslos. Vielen rinnen Tränen die Wangen hinab. Eine Frau in schwarzem Pelzmantel bricht zusammen und stößt archaisch klingende Schreie der Trauer in den azurblauen Himmel.
Nur einen Steinwurf entfernt haben die Verfassungsrichter die seit dem 9. Dezember suspendierte Präsidentin ihres Amtes enthoben. Insgesamt dreizehn Anklagepunkte wurden der 65-jährigen Politikerin zur Last gelegt, darunter Bestechung und Amtsmissbrauch. Aufgrund der erdrückenden Beweislage habe man keine andere Wahl gehabt, urteilte die leitende Juristin Lee Jung-mi: Park Geun-hye habe "über die gesamte Dauer ihrer Legislaturperiode die Verfassung verletzt", die Wahrheit verheimlicht und Regierungskritiker unterdrückt.
Eindeutiges Urteil
Mit acht zu null Stimmen fiel das Urteil der Verfassungsrichter eindeutig aus. Park Geun-hye geht an diesem Tag erneut in die Geschichtsbücher ihres Heimatlandes ein: Als erstes weibliches Staatsoberhaupt Südkoreas ist sie auch die erste Präsidentin, die ihres Amtes enthoben wird.
"Die Linken haben heute gewonnen", sagt Lee Hyeon-cheol, ein untersetzter Mann in Camouflage-Uniform, verspiegelter Sonnenbrille und Baseballcap. Sein Gesicht ist mit dunkler Tarnschminke eingeschmiert, auf seiner Visitenkarte stellt er sich als Armeeveteran vor. Wenn man seinen Erzählungen zuhört, dann befindet sich sein Heimatland noch immer im Kalten Krieg: "Der nächste Präsident wird nun wahrscheinlich von der Opposition kommen – ein Kommunist. Dabei haben wir jahrzehntelang gegen den Kommunismus gekämpft". Heute Abend werde er mit seinen "Kameraden" zurückschlagen, sagt Lee, bevor er in einer Seitenstraße verschwindet.
Was der Park-Anhänger damit gemeint haben könnte, lässt sich nur wenige Straßen weiter in einem U-Bahn Eingang erahnen: Eine Gruppe Pensionisten geht auf einen Fernsehjournalisten los, der sich nur mit Mühe aus dem Gedränge befreien kann. An einer Straßenkreuzung werfen Demonstranten mit Soju-Flaschen, andere schlagen die Fenster von Polizeibussen mit Stöcken ein. "Setzen wir das Verfassungsgericht in Brand", lautet einer der Parolen, die fanatische Park-Loyalisten immer wieder grölen. Laut Angaben der Nachrichtenagentur Yonhap sind insgesamt zwei Demonstranten bei Zusammenstößen mit der Polizei gestorben.
Park Geun-hye bleibt dem Gericht fern
Die Ausschreitungen wirken auch deshalb so befremdlich, weil die Demonstranten überwiegend im gehobenen Alter sind, während es sich bei den 21.000 Polizisten vor allem um Wehrdienstrekruten handelt, die frisch von der Oberschule kommen.
Die gefeuerte Präsidentin erschien nicht zur Urteilsverkündung, ließ aber verlauten, dass sie am heutigen Tage den Präsidentensitz noch nicht räumen würde. Aufgrund der Amtsenthebung wird Park Geun-hye viele ihrer Ruhestandprivilegien verlieren. Vor allem aber verliert sie mit heute ihre gesetzliche Immunität und wird aller Wahrscheinlichkeit nach in den nächsten Tagen strafrechtlich angeklagt werden.
Ihr Fall ist eng mit dem derzeit in U-Haft befindlichen Samsung-Thronfolger Lee Jae Yong verknüpft. Lee hat insgesamt über 30 Millionen Euro an zwei Sportstiftungen einer engen Jugendfreundin von Präsidentin Park bezahlt und dafür im Gegenzug – so die Vermutung der Ermittler – die Regierungserlaubnis für eine umstrittene Fusion von zwei Samsung-Tochterunternehmen bekommen. Die Gretchen-Frage in dem Prozess bleibt, ob es sich bei den Zahlungen auch nachweislich um Bestechung gehandelt hat. Das Verfassungsgericht scheint diese Frage mit einem Ja beantwortet zu haben. Dies könnte Einfluss auf das Urteil der Strafrichter haben.
Neuwahlen Anfang Mai
Voraussichtlich Anfang Mai wird das Land Neuwahlen abhalten, bei denen dem linksgerichteten Oppositionskandidat Moon Jae-in laut aktuellen Umfragen die höchsten Chancen zugerechnet werden. Bis dahin wird weiterhin der Ministerpräsident des Landes, Hwang Kyo-ahn, die Regierungsgeschäfte übernehmen. Inmitten der innenpolitischen Krise hat Südkorea mit drängenden geopolitischen Problemen zu kämpfen: Nordkorea hatte am Montag vier Raketen in das Japanische Meer abgeschossen; die Beziehungen zu China, dem mit Abstand wichtigsten Handelspartner, leiden unter der Stationierung des US-Abwehrraketensystem THAAD. Innenpolitisch hat Südkorea mit der höchsten Jugendarbeitslosigkeit seit Jahren zu kämpfen.