Wut und Trauer
30. Juni 2014Kfar Etzion, südlich von Jerusalem am 12. Juni: Naftali Frenkel (16), Gil-ad Shaer (16) und Eyal Yifrah (19) hatten die Religionsschule in der jüdischen Siedlung besucht. Sie wollten heim, per Anhalter - was nichts ungewöhnliches ist in diesem Teil des besetzten Westjordanlandes. Doch zu Hause kamen sie nie an. Auf dem Weg müssen sie ihren Kidnappern in die Hände gefallen sein. Wie erst später bekannt wurde, war es einem der Teenager sogar gelungen, einen Notruf abzusetzen. Der wurde von der Polizei aber zunächst als böser Scherz abgetan. "Man hat uns entführt", flüsterte einer der Jungen ins Handy, als die drei Mitte Juni von Unbekannten verschleppt wurden. Danach verlor sich ihre Spur.
Begraben unter Geröll
Erst jetzt ist ihr trauriges Schicksal gewiss: Die Leichen der drei Teenager wurden am Montag (30.06.2014) auf einem Feld in der Nähe von Hebron entdeckt. Begraben unter Geröll, wie es in israelischen Medien heißt. Schüler, die sich an der Suche beteiligt hatten, waren auf den Steinhaufen in einem Gebüsch aufmerksam geworden. Noch laufen die Untersuchungen, aber Sicherheitsexperten gehen davon aus, dass die drei Religionsschüler schon kurz nach ihrer Entführung getötet wurden.
Das Land ist unter Schock und Trauer, so die ersten Reaktionen. Übertragungen der Fußball-WM wurden kurzerhand abgesagt. Die Nachricht vom Tod der drei Jugendlichen hat die schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Präsident Schimon Peres sprach davon, die Terroristen mit eiserner Hand zu Fall zu bringen. Der rechtsnationale Naftali Bennet sprach von "keiner Gnade für Kindermörder". Parlamentspräsident Juli Edelstein erklärte: "Israel muss einen kompromisslosen Krieg gegen den Terror im Allgemeinen und speziell gegen die Hamas führen." Auch aus aller Welt kamen Beileidsbekundungen. Der französische Präsident und der britische Premier verurteilten die Tat auf das Schärfste, die François Hollande einen "feigen Mord" nannte. David Cameron sprach von einem "entsetzlichen und unentschuldbaren Terrorakt".
Das Schicksal der Teenager hat die Israelis aufgewühlt wie selten. Schon kurz nach dem Verschwinden von Naftali, Gil-ad und Eyal beschuldigte Israel die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas, hinter ihrer Entführung zu stehen. Die Hamas-Führung hat die Tat zurückgewiesen, keine Organsation hat sich dazu bekannt. Eine groß angelegte Suchaktion wurde gestartet. Die israelische Armee durchkämmte das Westjordanland insbesondere rund um die palästinensische Stadt Hebron. Nach Einbruch der Dunkelheit rückten die Soldaten immer wieder in Hebron ein. Die Militärs verhängten Ausgangssperren und führten Hausdurchsuchungen durch.
Fünf tote Palästinenser und zahlreiche Verletzte
Bei ihren Razzien nahm die israelische Armee nach eigenen Angaben etwa 420 Palästinenser fest, die meisten davon Hamas-Mitglieder. Und die Soldaten gingen bei der großangelegten Aktion oftmals brutal vor. "Sie haben einfach die Tür aufgesprengt und dann sogar die Küche verwüstet", schilderte eine junge Palästinenserin die Durchsuchung ihrer Wohnung. Bei Zusammenstößen während der israelischen Operation wurden fünf Palästinenser getötet und zahlreiche weitere verletzt. Offenbar nutzte Israel die Aktion auch dazu, die Hamas insgesamt zu schwächen. Vor wenigen Tagen hatte die israelische Regierung die Namen zweier Hamas-Naher Palästinenser genannt, die verdächtigt werden, die drei Teenager entführt zu haben. Beide sind noch immer flüchtig.
Noch am Abend berief Premierminister Benjamin Netanjahu eine Dringlichkeitssitzung des Sicherheitskabinetts ein, das über weitere Schritte berät. "Die Hamas ist verantwortlich, und die Hamas wird dafür bezahlen", sagte der Premierminister zu Beginn der Sitzung. Die Situation ist bereits angespannt, nachdem es in den vergangenen Tagen vermehrt Raketenangriffe aus dem Gazastreifen gab und Gegenangriffe der israelischen Armee. Hamas-Sprecher Sami Abu Zuhri in Gaza warnte seinerseits vor einer Eskalation: "Die Besatzungsmacht", also Israel, werde für "jegliche Eskalation die Verantwortung tragen".
Beobachter gehen auch davon aus, dass der israelische Premierminister nun auch weiter den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas bedrängen wird, den Versöhnungsprozess mit der Hamas zu beenden. Abbas hatte die Tat ungewöhnlich scharf verurteilt, und steht wegen der Sicherheitskooperation von palästinensischer Seite bereits enorm unter Druck. Auch Abbas berief am späten Abend eine Sondersitzung der palästinensischen Führung in Ramallah ein, um über die Situation zu beraten. Erst die nächsten Stunden werden zeigen, ob die Situation weiter eskaliert. In Israel wird man die drei toten Jugendlichen begraben. Hier herrschen Wut und Trauer. Auf palästinensischer Seite bereitet man sich auf die möglichen Reaktionen Israels vor.