Künstler boykottieren Filmfestival im Iran
17. Januar 2020Aus Solidarität mit den "trauernden Familien der Märtyrer der vergangenen Tage" werden die Eröffnungsfeierlichkeiten des Internationalen Fajr-Filmfestivals nicht stattfinden. Das teilte am Mittwoch die Presseabteilung des Festivals mit. Der Begriff Märtyrer bezieht sich nicht nur auf den von den USA getöteten General Soleimani. Gemeint sind auch die 147 Iraner, die beim Abschuss eines ukrainischen Passagierflugzeugs ums Leben gekommen sind.
Der Druck auf die Veranstalter scheint sehr groß zu sein. Die iranische Gesellschaft ist von den Vorgängen zutiefst aufgewühlt. Erst nach tagelangem Leugnen hatte der Iran eingestanden, die Maschine mit 176 Menschen an Bord am 8. Januar in der Nähe von Teheran abgeschossen zu haben, aus Versehen.
Wut auf das Kulturministerium
Das Fajr-Festival ist das wichtigste Kunstfestival im Iran (Artikelbild vom Festival 2019). Jeden Februar wird es anlässlich der Feiern zur Gründung der Islamischen Revolution veranstaltet. Für die Machthaber ist es ein prestigeträchtiger Event. "Die Wut auf das Kulturministerium ist groß", sagt der bekannte Bildhauer Barbad Golshiri im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Das Ministerium ist auch zuständig für die Medien und die Presse - und für ihre Lügen. Wir wurden gewarnt und bedroht. Ich schweige aber nicht. Viele Künstler haben erklärt, dass sie an den Film-, Literatur- und Musikfestivals, die im Februar in Teheran stattfinden, nicht teilnehmen werden. Ich weiß, dass viele andere sich dem Boykott anschließen", erklärt der Bildhauer.
Unter diesen Künstlern sind namhafte Regisseure wie Masoud Kimiai und Naser Taghvai. Letzterer hatte noch kurz vor der offiziellen Absage der Eröffnungsveranstaltung mitgeteilt, er würde sich nicht einschüchtern lassen und aus Protest dem Festival fern bleiben.
In die Trauer über den Tod der Passagiere mischt sich vermehrt Wut über die Lügen der Regierung. Viele Iraner fühlen sich verraten. Drei Tage lang hatte die Führung des Landes den Raketenangriff auf US-Stützpunkte im Irak gefeiert und sich selbst als Helden. Dabei musste sie bereits zu jener Zeit wissen, dass iranische Stellen für den Abschuss des Passagierflugzeug verantwortlich waren.
Auch die iranischen Medien hatten einstimmig tagelang die Position der Regierung vertreten. Sie verbreiteten falsche und irreführende Geschichten über den Abschuss der ukrainischen Verkehrsmaschine. Kanadas Premier Justin Trudeau wurde heftig angegriffen, nachdem er von zuverlässigen Informationen sprach, denen zufolge das Flugzeug von einer iranischen Rakete getroffen wurde. Einige Passagiere hatten sowohl die iranische wie auch die kanadische Staatsbürgerschaft, so wie die Frau und neunjährige Tochter von Hamed Esmaeilion.
Massive Kritik an der Führung in der ganzen Gesellschaft
"In dem Flugzeug saßen nicht nur Menschen. Da waren auch Bücher und Kuscheltiere drin. Auch ein kleiner rosa Elefant mit dem Namen Elli. Den suche ich". So steht es auf der Facebook-Seite von Hamed Esmaeilion, einem aus dem Iran stammenden Zahnarzt und Schriftsteller aus Toronto. Das Schicksal von Esmaeilions Frau und Tochter, sein Verlust hat viele Menschen im Iran tief bewegt. Viele kennen ihn aus seinem mittlerweile in 7. Auflage erschienenem Buch "Thymian ist nicht schön".
An Bord des abgeschossenen Flugzeugs waren viele iranische Akademiker und Dissidenten, die in ihrem eigenen Land keine Zukunft mehr für sich sahen und ausgewandert waren. Auch Esmaelion durfte keine weiteren Bücher im Iran veröffentlichen. Sie wurden vom Kulturministerium abgelehnt.
"Hätten nicht so viele Opfer auch die kanadische Staatsbürgerschaft gehabt und hätte die kanadische Regierung nicht deswegen so viel Druck ausgeübt, hätten wir die Wahrheit wohl nie erfahren", vermuten viele Iraner in den sozialen Netzwerken. Die prominente Schauspielerin Pegah Ahangarani schrieb auf Instagram: "Wir sind nicht Bürger, sondern Geiseln". Sie sagte ebenfalls ihre Teilnahme an dem Fajr-Filmfestival ab. "Ohne uns werden sie mit ihren angeblichen Künstlern keinen Erfolg haben", sagt Bildhauer Golshiri voraus. "Wie viele Kunstwerke haben sie in den letzten 40 Jahren denn geschaffen?" Barbad Golshiri fährt fort: "Wir stehen seit November hinter den Menschen, die für ein besseres Leben im Iran protestieren".
Das könnte für die Machthaber gefährlich werden: Die Prostete, die im November von den Sicherheitskräften brutal niedergeschlagen wurden, wurden vor allem von junge Iranern aus benachteiligten Schichten getragen. Sie hatten wegen der schweren Wirtschaftskrise gegen das politische System protestiert. Inzwischen hat sich die Protestbewegung auch auf die Mittelschicht und Intellektuellen ausgeweitet.