TV-Star will Putin herausfordern
19. Oktober 2017Vom Titelblatt des aktuellen Heftes der russischen Ausgabe der Frauenzeitschrift "Glamour" lächelt Xenia Sobtschak, die linke Faust zum revolutionären Gruß erhoben. Auf ihrem weißen T-Shirt steht in knallroter Schrift "Women Power". Der Glamour-Artikel über die bekannte Fernsehmoderatorin verspricht Informationen über ihre "Ambitionen auf das Präsidentenamt". Im Text erzählt Sobtschak von ihrer Beziehung zu ihrem Mann und ihrem Sohn, von ihrer Karriere und ihren Ansichten zur Gleichstellung der Geschlechter. Angesprochen auf ihre Pläne, Wladimir Putin herauszufordern und für das Präsidentenamt zu kandidieren, weicht sie jedoch aus und sagt, dass sie sich für Vieles interessiere.
In einem Brief, der am Mittwoch in der russischen Zeitung "Vedomosti" veröffentlicht wurde, wird Sobtschak deutlicher: "Genug geschwiegen", schreibt sie und kündigt ihre Präsidentschaftskandidatur bei der Wahl 2018 an: "Meine Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl kann ein echter Schritt vorwärts auf dem Weg zum dem Umbau sein, den unser Land so dringend braucht."
Die ideale Kandidatin?
Der Wirbel um Xenia Sobtschak und ihre mögliche Präsidentschaftskandidatur begann im September. Damals zitierte Vedomosti ungenannte Quellen im Präsidialamt mit den Worten, dass der Kreml auf der Suche nach einem "weiblichen Sparringpartner" für Putin im kommenden Wahlkampf sei. In dem Artikel wurden mehrere Politikerinnen aufgezählt; eine Quelle wird mit den Worten zitiert, Xenia Sobtschak sei die "ideale Kandidatin", weil sie "klug, aufregend und interessant sei und nicht dem Bild einer typischen Russin entspräche".
Sobtschak wies schnell darauf hin, dass sie in keinerlei Verbindung zum Präsidialamt stehe. Doch Medienberichte aus jüngster Zeit besagen, dass Sobtschak nach der Aufzeichnung eines Interviews mit Putin noch ein Vieraugengespräch mit dem Präsidenten geführt habe. Kremlsprecher Dmitri Peskow wollte das Treffen nicht kommentieren.
Die russische Paris Hilton
Zwar ist die 36-Jährige in den vergangenen Jahren als Oppositionsfigur bekannt geworden, doch denken die Russen bei ihrem Namen nicht zuerst an ernsthafte Politik. Sobtschaks Karriere begann 2004 als "Beziehungstherapeutin" in der Fernsehshow "Dom Dwa" ("Haus 2"), einer russischen Ausgabe der "Big-Brother"-Shows. Später hatte sie eine eigene Reality-TV-Show mit dem Titel "Blodinka v Shokolade" ("Blondine in Schokolade"). Die Show zeigte Sobtschak als glamouröse, aber zugängliche Prominente beim Shopping oder am Telefon mit Freunden. Sie wurde als "Russlands Antwort auf Paris Hilton" bezeichnet.
Der Chefredakteur der Zeitschrift Glamour beschriebt Sobtschak als Beispiel für "das, was unsere amerikanischen Kollegen eine 'Selfmade-Frau' nennen würden"; sie stammt jedoch aus einer Familie mit guten Verbindungen. Ihr Vater Anatoli Sobtschak war von 1991 bis 1996 der erste gewählte Bürgermeister von St. Petersburg und damit der Chef Wladimir Putins, der als sein Stellvertreter amtierte. Ihre Mutter Ljudmilla Narussowa ist ebenfalls politisch aktiv und sitzt derzeit im Russischen Föderationsrat, dem Oberhaus des russischen Parlaments.
Aktivistin in der Opposition
In den vergangenen Jahren löste sich Xenia Sobtschak von ihrer Karriere im Reality-TV, die sie berühmt gemacht hatte. In den Massenprotesten nach der Duma-Wahl 2011 übernahm sie eine aktive Rolle. Im Jahr 2012 wurde sie in den Rat zur Koordination der Opposition gewählt, eine Gruppe, die damals versuchte, die zersplitterte Opposition zu einigen. In dem Rat saßen auch die Oppositionspolitiker Alexej Nawalny, Ilja Jaschin und Boris Nemzow.
Der Deutschen Welle sagte Sobtschak über ihren Wechsel in die Politik 2012, sie habe während der Proteste die Hoffnung gehabt, dass sie das Volk von ihren ehrlichen Absichten überzeugen könnte. Zu dieser Zeit habe sie gehofft, dass es "Massenproteste" in Russland geben würde, "freie Medien, eine unabhängige Justiz und schließlich eine vollständige Reform".
Seit 2012 moderiert sie verschiedene politische Talkshows, darunter eine bei dem unabhängigen Sender Doschd, der für seine oppositionellen Ansichten bekannt ist. In ihrer Sendung "Sobtschak live" führt sie kritische Interviews mit hochstehenden Politikern wie dem weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko oder dem früheren georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili. Gleichzeitig wahrt sie ihr Image als russisches "It-Girl" mit ständiger Medienpräsenz: Zusätzlich zu ihrer Fernseharbeit ist Sobtschak die Chefredakteurin der russischen Ausgabe der Modezeitschrift "L'Officiel".
Eine Alternative zu Putin?
Der Wahlkampf zur Präsidentschaftswahl in Russland hat noch nicht begonnen, und Amtsinhaber Wladimir Putin hat seine erneute Kandidatur noch nicht angekündigt. Aber schon bevor Sobtschak ihre Kandidatur bekanntgab, entbrannte darum eine lebhafte Debatte in Russland.
Andrej Perzew, politischer Beobachter am Mocow Carnegie Center und Journalist bei der russischen Zeitung "Kommersant", nannte Xenia Sobtschaks Erscheinen im Rampenlicht der russischen Politik "unerwartet", wies jedoch darauf hin, dass die "Diskussionen um Sobtschaks Nominierung zeigen, wie nötig eine Alternative zu Putin" sei. Er sagte, die Gerüchte um Sobtschak seien einer ernsthaften Diskussion ihrer Kandidatur gewichen und fügte hinzu, dass sie "eine bemerkenswerte Liberale" sei, wohlbekannt in der Öffentlichkeit und eine Kritikerin des Regimes.
Oppositions-Double
Die Idee einer Sobtschak-Kandidatur fordert aber auch Vergleiche zu der des russischen Geschäftsmannes und Milliardärs Michail Prochorow bei der Präsidentschaftswahl 2012 heraus. Prochorow trat als Kandidat der liberalen Opposition an und wurde hinter Wladimir Putin und Gennadi Sjuganow Dritter. Damals behaupteten Beobachter wie Stalislaw Belkowsky, dass Prochorows Kandidatur ein Versuch des Kreml war, die politische Enttäuschung von Regierungsgegnern zu kanalisieren. In russischen Medienberichten heißt es, dass Xenia Sobtschak eine ähnliche Funktion als offiziell zugelassene, vom Kreml handverlesene Oppositionskandidatin erfüllen könnte.
Der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny wurde nicht zur Präsidentschaftswahl zugelassen, weil gegen ihn eine Bewährungsstrafe verhängt worden war. Auf die Gerüchte über Sobtschaks mögliche Kandidatur reagierte Nawalny - vor ihrer Bestätigung - mit der Aufforderung an Journalisten, sich nicht an dem "ziemlich ekelhaften Spiel des Kremls zu beteiligen, das heißt 'Lasst uns eine liberale Lachnummer in die Wahl holen, um alle abzulenken'". Sobtschak antwortete Nawalny über die russische Nachrichtenseite "RBS": "Ich rate ihm: Beleidige niemanden mit Hilfe unbestätigter Informationen."
Doch nach der Bekanntgabe der Kandidatur betonte Sobtschak im Programm von Doschd TV, dass sie Nawalny als Freund ansehe und die Opposition geeinigt halten wolle. Sie erklärte, wenn Nawalny doch noch zu den Präsidentschaftswahlen zugelassen werde, würde sie den Rückzug ihrer Kandidatur erwägen.