Zehntausende Polen fordern Verbleib in EU
10. Oktober 2021Protestaktionen gab es in etwa 100 Städten und Gemeinden in allen Teilen Polens. Viele der weit mehr als 100.000 Demonstranten treibt die Angst um, dass die regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki mit ihrem EU-kritischen Kurs das Land aus der Europäischen Union herausmanövrieren will. Für einen solchen Schritt wurde bereits der Begriff "Polexit" geprägt - in Anlehnung an den "Brexit" genannten EU-Austritt Großbritanniens.
Allein in der Hauptstadt Warschau demonstrierten nach Angaben der Veranstalter mehr als 80.000 Menschen gegen den Konflikt von Regierung und Verfassungsgericht mit EU-Institutionen und für einen Verbleib des Landes in der Staatengemeinschaft. "Wir bleiben", skandierten die Demonstranten und schwenkten die Flaggen Polens und der EU.
"Wir werden gewinnen"
Das Verfassungsgericht des Landes hatte kürzlich geurteilt, dass bestimmte Elemente des EU-Rechts gegen die polnische Verfassung verstoßen. Damit gab es nationalem Recht den Vorrang vor EU-Recht. Diese Entscheidung heizt den Konflikt zwischen der EU-Kommission und Warschau um die Reform des polnischen Justizsystems weiter an.
Zu den Protesten aufgerufen hatte der ehemalige EU-Ratspräsident und polnische Oppositionsführer Donald Tusk. Bei seinem Auftritt vor den Demonstranten in Warschau sagte er, die nationalkonservative Regierungspartei PiS rede schon nicht mehr drumherum, dass sie das Land aus der EU führen wolle. "Wir wissen, warum sie die EU verlassen wollen", sagte Tusk, der die liberal-konservative Partei Bürgerplattform führt. "Damit sie ungestraft demokratische Regeln verletzen können." Tusk betonte, der Platz Polens sei in Europa, und fügte hinzu: "Wir werden gewinnen, denn wir sind mehr!"
Sowohl Tusk als auch andere Redner wurden immer wieder durch laute Zwischenrufe und Sprechchöre aus einer Gegendemonstration rechtsnationaler Gruppierungen unterbrochen.
PiS-Kritik vom Friedensnobelpreisträger
In der Hafenstadt Danzig sprach der Friedensnobelpreisträger und einstige polnische Präsident Lech Walesa zu den Demonstranten. "Die Menschen, die heute den Staat führen, sind ein großes Unglück für Polen", sagte der frühere Chef der Gewerkschaft Solidarnosc. Kein Feind, der Polen je regiert habe, habe die Menschen im Land derart gespalten wie die PiS.
Laut Umfragen befürwortet eine große Mehrheit der Polen weiterhin die Mitgliedschaft in der EU. Die Beziehungen zwischen Warschau und Brüssel sind jedoch angespannt, seitdem die rechtsnationalistische PiS 2015 an die Macht kam. Im Zentrum des Streits steht die von der PiS vorangetriebene Justizreform, die aus Sicht der EU die Unabhängigkeit der Justiz und die Gewaltenteilung untergräbt.
Die EU-Kommission hat in dem Streit bereits mehrere Verfahren gegen Polen angestrengt. Als Druckmittel hält sie bisher insgesamt 57 Milliarden Euro aus dem Corona-Hilfsfonds für Polen zurück. Wegen Missachtung eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) droht Warschau zudem ein Zwangsgeld von täglich mehreren Millionen Euro.
mak/wa (dpa, rtr, afp)