Zeichen für die Nazi-Opfer
17. August 2003Vor bald zwei Jahren, im Oktober 2001, schlüpfte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse in die Rolle eines Bauarbeiters und posierte auf einem Bagger, der einsam auf einer großen Brachfläche wenige Meter neben dem Brandenburger Tor stand. Die Botschaft war klar: Jetzt geht es los mit dem Bau des Denkmals für die ermordeten Juden Europas.
In den vergangenen anderthalb Jahren schien auf der Baustelle dann nur wenig zu passieren. Im April 2003 tauchte Thierse wieder an der Baustelle auf. Diesmal kletterte er nicht auf einen Bagger, sondern auf ein Informationspodest, von wo aus er verkündete, dass im Spätsommer 2003 mit der Montage der ersten Stelen begonnen werden könne.
Eine unendliche Geschichte
Und tatsächlich - alles ist so gekommen, wie angekündigt. In der Vergangenheit war das fast nie der Fall. Denn die Planung der Holocaust-Gedenkstätte erwies sich als beinahe unendliche Geschichte. 1988, als auf der heutigen Baustelle noch die Berliner Mauer stand, hatte sich ein privater Förderkreis um die Fernsehjournalistin Lea Rosh zusammengefunden. Ihr Anliegen: ein weithin sichtbares Zeichen für die Opfer der Nazi-Diktatur im Land der Täter.
Von der Idee bis zum ersten konkreten Schritt, einem künstlerischen Wettbewerb, der im Mai 1994 ausgeschrieben wurde, vergingen fast sechs Jahre. Ausgelobt vom Förderkreis, von der Stadt Berlin und dem Bund. Denn inzwischen hatte sich die Politik der Sache angenommen. Ein Jahr später war das Projekt endgültig ein Politikum: der christdemokratische Bundeskanzler Helmut Kohl hielt den preisgekrönten Entwurf einer Künstlergruppe um Christine Jakob-Marks für "nicht akzeptabel". Deren Entwurf bestand aus einer riesigen, schiefen Beton-Ebene, in die die Namen der Holocaust-Opfer eingemeißelt werden sollten. Es vergingen knapp zweieinhalb Jahre, ehe im November 1997 der Entwurf von Peter Eisenman in die engere Wahl kam. Wieder war Kohl unzufrieden. Das von dem amerikanischen Architekten geplante Stelen-Feld wirkte auf den Kanzler zu monumental.
Nachdenken und nachfragen
Mit dem Regierungswechsel im Herbst 1998 kam neuer Schwung in eine Sache, die längst zur Staatsangelegenheit geworden war. Die rot-grüne Koalition unter dem sozialdemokratischen Regierungschef Gerhard Schröder vereinbarte, den Bundestag über das geplante Mahnmal entscheiden zu lassen. Schon sechs Monate später, im Sommer 1999, sprachen die Volksvertreter sich für den Eisenman-Entwurf aus. Ein Feld aus rund 2700 Beton-Stelen in unterschiedlicher Höhe, die an ein Meer oder wogendes Feld erinnern sollen. Ergänzt durch ein Museum, den so genannten Ort der Information. Noch im selben Jahr wurde eine Stiftung gegründet, deren Vorsitzender Thierse ist.
Nun (16. August 2003) wurden tatsächlich die ersten Stelen in den Boden eingelassen. Im Beisein des Architekten Eisenman, der sich an Ort und Stelle von der Qualität des Materials überzeugen und über den Fortgang der Baumaßnahmen informierte. Wenn alles weiter so gut klappt wie zuletzt, sollte auch der wichtigste Termin einzuhalten sein: die Eröffnung der Gedenkstätte am 8. Mai 2005 - 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Dann werden auch die Worte des Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, einer Prüfung unterzogen werden müssen: "Ich hoffe, dass viele Menschen, die dieses Denkmal sehen, darüber nachdenken, warum es gebaut worden ist, wozu es gebaut worden ist, dass man nachfragt. Dass sie dann aber auch die entsprechenden Antworten bekommen. Denn das Denkmal alleine kann es nicht sein."