Zeugnisse deutscher Kultur in Nürnberg
3. Juli 2012Es begann vor rund 160 Jahren. Der Nürnberger Hans Freiherr von und zu Aufseß hatte die Idee, ein Museum zu gründen, in dem Zeugnisse deutscher Kultur und Geschichte gesammelt und ausgestellt werden sollten, die aus dem "deutschen Kulturraum" stammten. Darunter verstand man im 19. Jahrhundert alle Gebiete, in denen früher einmal deutsch gesprochen wurde, wie Schlesien und Pommern oder das Gebiet um Danzig. Heute ist das Germanische Nationalmuseum ein modernes Museum, das große Ausstellungen mit Forschungsprojekten verbindet. Gezeigt werden Originale von der Ur- und Frühgeschichte bis zur Gegenwart – von einem Goldkegel aus der Bronzezeit bis zum Filzanzug von Joseph Beuys.
"Alles Dürer!"
Eine lange Menschenschlange wartet geduldig vor dem Haupteingang. Nur kleine Gruppen werden jeweils eingelassen – ein Besucherandrang, der selbst für das Germanische Nationalmuseum nicht alltäglich ist. "Der frühe Dürer" – prangt in großen Lettern über dem Portal. Die größte Dürer-Ausstellung in Deutschland seit 40 Jahren lockt Gäste aus aller Herren Länder an. Wenn die Besucher es endlich bis ins Museum geschafft haben, geht es eine Treppe hinunter. In kleinen, teils abgedunkelten Räumen sind Werke des Malers aus den ersten zwanzig Jahren seines Schaffens zu sehen: Selbstbildnisse, Portraits von Familienmitgliedern und Freunden, Naturstudien. Die Formate reichen von kleinen Zeichnungen bis zum großflächigen Tafelbild. In vier Sektionen sind ca. 200 Originalwerke zu entdecken. Verdeutlicht wird aber auch das Umfeld, in dem Dürer aufwuchs, das es ihm ermöglichte, seine Kreativität zu entfalten. Als Handwerker hatte er zwar lesen, schreiben und rechnen gelernt, beherrschte aber die klassischen Sprachen Latein und Griechisch nicht. Trotzdem bewegte er sich in den intellektuellen Kreisen seiner Heimatstadt Nürnberg und fand hier die Freunde und Förderer, denen er seine Entwicklung zum Künstler von europäischem Rang verdankte. Eine einmalige und faszinierende Ausstellung, die noch bis Anfang September zu sehen ist.
Kartäuserkloster und Museumsforum
Kaum verlässt man - beeindruckt von Dürer – die Kellerräume des Museums, erwartet den Besucher eine ganz andere Welt: eine offene, moderne Empfangshalle mit Servicestationen und einem Buchladen leitet über ins 21. Jahrhundert – und katapultiert den verblüfften Besucher nach nur wenigen Schritten wieder in die Vergangenheit, ins 14. Jahrhundert: eine Kirche, ein Kreuzgang und Mönchsklausen bilden den architektonischen Kern des Museums, der heute einen großen Teil der Ausstellungen aufnimmt. Im Kreuzgang schildern Wandtafeln die Lebensregeln der Kartäusermönche, auf der Seite gegenüber erinnern Grabplatten an Adelige und Kirchenfürsten der Stadt. Kleine Hinweisschilder zeigen den Weg in die benachbarten Ausstellungsräume.
Und wieder ist die Überraschung perfekt. Aus der klösterlichen Welt des Mittelalters taucht man direkt im 20. Jahrhundert auf. Andrea Langer, Leiterin des Kulturmanagements des Germanischen Nationalmuseums, erzählt, wie das Gebäude im Laufe der Jahrhunderte ergänzt wurde. Schon um das Jahr 1900 sei der in neugotischem Stil errichtetet Eingangsbereich dazu gekommen, der jetzt als Nebeneingang genutzt wird. 1993 gestaltete die Hamburger Architektengruppe ME DI UM den heutigen Haupteingang, einen offenen, lichtdurchfluteten Bau, die gläserne Fassade fügt sich harmonisch in das Ensemble der mittelalterlichen Kartause ein.
Im selben Jahr eröffnete der israelische Bildhauer Dani Karavan seine "Straße der Menschenrechte". Das Werk besteht aus einem Tor und 27 Rundpfeilern aus weißem Beton, eingraviert ist jeweils einer der Artikel der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" in verschiedenen Sprachen. Die Straße verbindet die Plätze zwischen Kornmarkt und Stadtmauer. "Hier gibt es also auch spannende Ausstellungsarchitektur zu sehen vom 14. Jahrhundert bis heute", so Andrea Langer.
Gigantisches Museum
"Man kann sich in dem weitläufigen Komplex leicht verlaufen", meint eine Besucherin und erzählt, dass sie schon vorab eine Auswahl getroffen habe, was sie sich anschauen wollte. Tatsächlich geben die Ausstellungen einen umfassenden Überblick über viele Jahrhunderte Geschichte und Kunstgeschichte. Acht Räume im Erdgeschoss sind allein dem Thema Vor- und Frühgeschichte gewidmet, die Exponate einzigartig: ein Faustkeil ist vor ca. 120.000 Jahren entstanden und ein prunkvoll verzierter Goldkegel - eine Kopfbedeckung eines bronzezeitlichen Sonnenpriesters - stammt aus dem 11. Jahrhundert v. Chr. Dagegen wirkt ein römischer Paradehelm geradezu jung: er wurde um 150 n. Chr. getragen. Eine Etage höher dann eines der Highlights: in dreißig Ausstellungsräumen werden Kunst und Kultur von der Renaissance bis zur Aufklärung präsentiert. Dazu gehören neben Gemälden von Dürer, Lucas Cranach d.Ä. und Rembrandt auch Kunsthandwerk, Wohnkultur, Musikinstrumente, Textilien und Schmuck – eine Fülle an Exponaten, die den Besucher fast erdrückt. Da ist es schon eine angenehme Abwechslung, sich in der benachbarten kleineren Sektion umzuschauen, die dem Thema Mode gewidmet ist. Von Badebekleidung über Abendpumps bis hin zu extravaganten Hüten ist hier alles zu bewundern, was vom 18. bis 20. Jahrhundert in Deutschland getragen wurde. Dann wieder ein Stockwerk höher: Kunst, Mode und Alltagsgegenstände des 20. Jahrhunderts. Teekannen im Design von Marianne Brandt, eine Kaffeemaschine aus dem Jahr 1935, Handtaschenmodelle der 50er Jahre bis hin zu Bronze-Skulpturen von Hans Arp – der Besucher ist in der Gegenwart angekommen und hat bisher nur einen kleinen Teil des Germanischen Nationalmuseums kennengelernt. Er will auf jeden Fall wiederkommen, sagt einer, das lohne sich auf jeden Fall, denn es gebe viele Exponate von Weltrang..
Interdisziplinäres Forschungszentrum
"Das Germanische Nationalmuseum hat die Aufgabe, die Kunst und Kultur des deutschen Sprachraums nicht nur zu bewahren, sondern auch zu erforschen und den Besuchern zu präsentieren", erläutert Kulturmanagerin Langer. Hier kommen viele verschiedene wissenschaftliche Disziplinen zusammen. Schwerpunkte liegen auf dem Spätmittelalter und der frühen Neuzeit, Dauerausstellungen sind den Bereichen Renaissance, Barock und Aufklärung gewidmet. "Der große Vorteil dieses Hauses ist, dass man auf Grund der Vielfalt von wissenschaftlichen Disziplinen Forschungsthemen erarbeitet, die interdisziplinär sind. Derzeit läuft ein Projekt mit dem Titel 'Wege in die Moderne'. Es geht ums lange 19. Jahrhundert. Daran sind ganz unterschiedliche Disziplinen beteiligt: die Kunstgeschichte, Geschichte, Volkskunde, Design, Musik, eben aus allen Bereichen kommen Kollegen hinzu, die etwas dazu beizutragen haben", so Andrea Langer. Das Museum ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Hier arbeiten 86 wissenschaftlichen Institutionen zusammen, die Grundlagenforschung betreiben. Darunter sind auch Forschungsmuseen: das Deutsche Museum in München, das Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven und als einziges kulturhistorisches Museum das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg..