Biennale Venedig: Tobias Zielony
7. Mai 2015Tobias Zielony wurde 1973 in Wuppertal geboren, studierte von 1998 bis 2001 Dokumentarfotografie an der University of Wales in Newport und war danach Meisterschüler bei Timm Rautert an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. In seiner Arbeit bewegt er sich zwischen klassisch dokumentarischen und konzeptuellen Vorgehensweisen. Die Motive seiner Fotografien und Videos sucht er oft an den Rändern unserer Gesellschaft. 2015 ist er gemeinsam mit vier anderen Künstlern eingeladen, den Deutschen Pavillon bei der Kunstbiennale in Venedig (9. Mai bis 22. November) zu bespielen. Sein Beitrag ist ein dokumentarischer Essay: Fotografien, die er von Flüchtlingen aus afrikanischen Ländern in Berlin und Hamburg gemacht hat.
Deutsche Welle: Um was geht es in dem Fotoprojekt, das Sie in Venedig zeigen?
Tobias Zielony: Die Idee des Projekts ist, Flüchtlinge in Deutschland und vor allem Flüchtlingsaktivisten zu fotografieren und deren Geschichten aufzuzeichnen. Diese Geschichten wurden in den Zeitungen ihrer jeweiligen Herkunftsländer veröffentlicht. Die Länder wissen oft nur sehr wenig über die Situation der Flüchtlinge und ihren politischen Kampf. Es werden dann auch die ganzen Zeitungen oder zumindest ganze Ausschnitte und nicht nur die Artikel ausgestellt, um auch etwas über den Kontext der Länder zu sagen. Das heißt, das ist so etwas wie ein zufälliges Schlaglicht auf die Situation vor Ort. Man sieht auch andere Artikel und Werbung, die fast zufällig etwas über die Länder erzählen, aus denen die Flüchtlinge kommen.
Welche Rolle spielt die Fotografie in diesem Zusammenhang? Wie vermeidet man den Aspekt des Voyeurismus, der dem Medium ja immer wieder zum Vorwurf gemacht wird?
Ich glaube, dass die Flüchtlinge sehr schnell gemerkt haben, wie wichtig Bilder sind und auch sehr selbstbewusst und emanzipiert mit den Medien umgehen. Es gibt ja inzwischen sogar so eine Art Kontaktgruppe von Fotografen, die mit den Flüchtlingen zusammenarbeiten und bestimmte Bilder machen dürfen. Ich würde nicht sagen, das ist Voyeurismus oder "Opferfotografie". Es gibt ein Bewusstsein dafür, wie wichtig diese Bilder sind, und wie wichtig es ist, von beiden Seiten bewusst an diesem Prozess zu arbeiten. Und ich denke, ich bin ein Teil dieses Prozesses. Das war vielleicht für viele recht ungewöhnlich, dass man die Bilder auch in Afrika veröffentlicht hat. Man kennt hier Bilder aus dem Sudan aus irgendeinem Flüchtlingslager, aber dass die ganze Richtung umgekehrt wird, war für die Leute in Deutschland und die für Zeitungen vor Ort etwas verwunderlich.
Wie hat sich die Idee mit den Zeitungsartikeln entwickelt?
Wir haben überlegt, dass wir mit Autoren zusammenarbeiten, die in den Ländern leben - zum Beispiel in Lagos, Kamerun, Nigeria und so weiter. Wir haben zuerst versucht, die Autoren zu finden und zu kontaktieren und die haben dann vor Ort die Zeitungen angesprochen. Die Zeitungen sind extrem unterschiedlich von den Artikeln her. Auch die Herangehensweisen und die Perspektiven sind ganz verschieden.
Wie haben die Menschen vor Ort auf die Artikel reagiert?
In Kamerun war zum Beispiel für viele Menschen überraschend, dass es den Flüchtlingen hier schlecht geht. Dass sie nicht arbeiten dürfen, nicht studieren können und ständig von Abschiebung bedroht sind. Das hat auch das Deutschlandbild der Leser verändert. Viele Leute denken, wenn die, die das Land verlassen, erst einmal hier sind, dann ist alles gut. Aus der Perspektive beispielsweise vom Sudan kann man das auch nachvollziehen, wenn man dort sagt, die Leute überleben in Deutschland, die sind hier auf der sicheren Seite.
Dann gibt es ein Literaturmagazin aus Nigeria, das zu den Artikeln fiktionale Texte gesetzt hat. Eine Geschichte von zwei Frauen in Venedig, von denen die eine als Prostituierte arbeitet. Das sind dann fiktionale oder halb fiktionale Ebenen, die dazu kommen. Es sind natürlich keine Texte, die meine Bilder erklären. Aber es spiegelt eine Situation wider, die viel komplizierter ist, als wir uns das hier vorstellen.
Sie haben sehr intensiv mit den Aktivisten zusammen gearbeitet. Werden sie in irgendeiner Form an der Präsentation in Venedig teilhaben können?
Wir haben natürlich auch überlegt, die Leute, mit denen wir gearbeitet haben, einzuladen, aber die dürfen nicht reisen. Innerhalb von Deutschland haben sie schon Probleme hin und her zu reisen. Es ist nicht so einfach, zu sagen: Ich fahre jetzt nach Italien zur Eröffnung. Das ist ja immer die Frage: Wer sieht im Endeffekt die Arbeit? Natürlich wäre es toll, auch eine Veranstaltung vor Ort zu machen oder es zu schaffen, die Leute in die Ausstellung zu bringen.
Das Interview führte Ulrike Sommer.