Historischer Machtwechsel in Myanmar
30. März 2016Der Machttransfer in Myanmar findet seinen Abschluss. Aus den Wahlen im November 2015 war die Nationale Liga für Demokratie (NLD) unter der Führung der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi als klarer Sieger hervorgegangen. Am Mittwoch wurde der neue Präsident Htin Kyaw vereidigt. Er wurde von seiner Partei NLD nominiert, da Aung San Suu Kyi selbst nicht Präsidentin werden darf. Die Verfassung sperrt das höchste Amt des Landes für Bürger, die Angehörige mit ausländischer Staatsbürgerschaft haben. Die Söhne der Friedensnobelpreisträgerin sind Briten. Allerdings ist Htin Kyaw ohnehin nur ein"Stellvertreterpräsident", der Aung San Suu Kyis Linie folgt. Nach Einführung des neuen Präsidenten tritt das neue Kabinett zusammen, das dann offiziell die Regierungsgeschäfte des Landes übernimmt.
Die Erwartungen an die neue Regierung sind sehr groß, so der birmanische Journalist Zeya Thu. "Die Menschen erwarten, dass sich die Lage unter der zivilen Regierung in vielerlei Hinsicht verändern wird." Diese Beobachtung hat auch der Myanmar-Forscher Hans-Bernd Zöllner gemacht, der das Land erst kürzlich besucht hat: "Die Leute sind erwartungsfroh. Aber es gibt keine konkreten Erwartungen, die erfüllt oder enttäuscht werden könnten. Es gibt mehr eine allgemeine unspezifische Euphorie, die nicht zu packen ist. Es ist alles irgendwie irreal."
Übergangskabinett
Als Erstes müsse der Regierungsapparat reformiert werden, ist Zeya Thu überzeugt. "Denn die Verwaltung ist ja das Mittel, mit der die Regierung ihre Politik implementiert." Die Reduzierung der Ministerien von 36 auf 21 sei da schon mal ein guter Anfang. Sie zeige nämlich, dass die neue Regierung die Aufgabe anpacken und klare Strukturen schaffen wolle. Die Minister sind kurz nach dem neuen Präsidenten vereidigt worden. Aung San Suu Kyi ist eine Art Superministerin für vier Ressorts: Außenministerin, Leiterin des Präsidialamtes, Bildungsministerin sowie Ministerin für Energie und Elektrizität.
"Tatsächlich sehe ich Aung San Suu Kyi vor meinen geistigen Augen bereits seit Jahren als Außenministerin", sagt Journalistin Zeya Thu. Eine gute Wahl, ist der bekannte birmanische Journalist im Gespräch mit der Deutschen Welle überzeugt. Aung San Suu Kyi genieße hohes internationales Ansehen. "Abgesehen davon dominiere sie die Außenpolitik ohnehin schon seit Längerem." Damit spielt Zeya Thu auf ihre zahlreichen Auslandsreisen nach der Entlassung aus dem Hausarrest 2010 an. Die Reisen führten sie unter anderem nach Deutschland, ins britische Parlament und nach China, wo sie mit Staatspräsident Xi Jinping zusammengetroffen ist. Nicht zuletzt erhält sie als Außenministerin Zugang zum Sicherheits- und Verteidigungsrat des Landes, der in Myanmar als einflussreiche Institution gilt.
Drei Schlüsselressorts gehen ans Militär
Von einigen anderen Mitgliedern des neuen Kabinetts ist Zeya Thu weniger überzeugt, ohne Namen nennen zu wollen. "In einigen Fällen, denke ich, dass es bessere Kandidaten gibt als diejenigen, die es auf die Liste geschafft haben. Es hat den Anschein, dass in diesen Fällen Loyalität mehr zählt als Sachkenntnis." Aung San Suu Kyi fühlt sich offensichtlich ihren Mitstreitern der NLD verpflichtet, die jahrelange Inhaftierungen und Entbehrungen erdulden mussten.
Nicht ganz so kritisch ist Zeya Thu hinsichtlich der drei Schlüsselministerien Inneres, Verteidigung und Grenzangelegenheiten, die nach der Verfassung von 2008 vom Militär bestimmt werden. "Es handelt sich um Armeegeneräle einer jüngeren Generation. Ich denke, dass sie eher vertraut sind mit demokratischen Vorstellungen. Viel mehr wissen wir allerdings nicht über ihren Hintergrund."
Erste 100 Tage
Tin Oo, Vizevorsitzender der NLD, kündigte am Sonntag (29.03.2016), dem wichtigen myanmarischen Feiertag zu Ehren der Streitkräfte, an, dass die NLD plane, innerhalb der ersten 100 Tage im Amt wichtige Änderungen durchzusetzen. Konkreter wurde er nicht. Ziel seiner Partei sei Aufbau eines föderalen Staats, nationale Versöhnung, Einheit, Frieden und Demokratie.
Zöllner erstaunt die Vagheit nicht. "In der Politik Myanmars ist das Verhältnis zwischen Bevölkerung und Regierung im Wesentlichen ein atmosphärisches." Es gehe weniger um konkrete Pläne und deren Umsetzung, als vielmehr um Symbole. "Die Menschen leiden unter dem politischen Klima. Sie fühlen sich gegängelt und ihrer individuellen Freiheit beraubt." Das zeige zugleich, wie grundsätzlich die Erwartungen an die Regierung seien. Es gehe nicht um pragmatische Politik, sondern um das große gesellschaftliche Ganze.
Demokratische Kultur
Um das zu erreichen, scheint Aung San Suu Kyi unter anderem auf westliche Demokratie zu setzen. "Das bedeutet aber nicht weniger, als die traditionellen Top-Down-Strukturen des Landes vom Kopf auf die Füße zu stellen. Dann muss sie die politische Kultur des ganzen Volkes verändern", sagt Zöllner, "das ist eine Jahrhundertaufgabe." Denn es geht dann nicht nur darum, demokratische Regeln einzuführen, sondern vor allem darum, demokratische Vorstellungen in den Herzen der Menschen zu verankern. Allerdings ist Zöllner skeptisch, dass der Impuls dafür von der Politik ausgehen kann: "Diese Aufgabe kann kein Kabinett der Welt erfüllen. Letztlich müssen die Birmanen das selbst hinbekommen."