Zorya Luhansk: Ein Fußballverein im Exil
8. Januar 2017In einer kalten Dezembernacht rast ein Nachtzug von Kiew nach Odessa. Als die Außentemperatur auf minus zwölf Grad Celsius fällt, verbreitet sich das Gerücht, dass der Rasen des Chornomorets Stadions gefroren sei und das Spiel abgesagt werden könnte.
"Keine Chance!" spottet Vladimir. Er hat die Zugreise angetreten, um seinen FC Zorya Luhansk im Europa-League-Rückspiel gegen Manchester United anzufeuern.
"Ich mache mir vor allem um Zlatan [Ibrahimovic] und die United-Spieler Sorgen - die haben wahrscheinlich noch nie zuvor Schnee gesehen", sagt er.
Für den FC Zorya sind die eisigen Temperaturen noch die geringsten Sorgen. Als pro-russische Separatisten 2014 die Kontrolle über Luhansk übernahmen, wurde das Stadion durch einen Raketenangriff zerstört. Seither muss der Verein seine Heimspiele im 966 Kilometer entfernten Odessa austragen.
Europa League als finanzieller Rettungsring
"Es ist extrem schwierig", sagt Zoryas Vereinschef Sergei Rafailov der DW, nachdem die Mannschaft in Odessa angekommen ist. "Unsere gesamte Klub-Infrastruktur ist noch immer in unserer Heimat Luhansk. Außerdem verursacht es zusätzliche Kosten, wenn wir in einer anderen Stadt spielen müssen. Dazu noch das Geld für die Stadionmiete, die Trainingsplätze, die sanitären Anlagen und die Unterkunft."
Zorya ist in der starken Europa-League-Gruppe mit Fenerbahce Istanbul, Feyenoord Rotterdam und Manchester United bereits vor der Partie gegen Manchester ausgeschieden. An jenem Abend geht es also nur noch um die Ehre. In der ukrainischen Liga ist die Mannschaft derzeit Dritter und hat noch Hoffnung, sich für die Champions League zu qualifizieren.
"Es ist toll, in der Europa League spielen zu dürfen. Das haben wir der harten Arbeit aller in diesem Verein zu verdanken", sagt Rafailov. "Mit dem Geld, das wir von der UEFA für die Europa-League-Spiele bekommen, können wir uns über Wasser halten."
Während die Vereinsmitarbeiter angehalten wurden, umzuziehen, ist auch für Fans die Situation unbefriedigend. Denn aufgrund der riesigen Entfernung ist es für sie unheimlich schwierig geworden, ihre Mannschaft zu unterstützen.
Früher hatte Zorya im Schnitt 8000 bis 10.000 Zuschauer pro Heimspiel. Jetzt sind es nur noch etwa 1000.
"Wir sind sehr dankbar für die Unterstützung der Fans", sagt Pavel Kozyrev, der Pressesprecher des Klubs. "Viele Fans leben immer noch in Luhansk und verfolgen unsere Spiele im Fernsehen. Aber wir haben auch in anderen Teilen der Ukraine Fans. Vor drei Wochen war unser Stadion ausverkauft."
Ursprünglich kommt Vladimir aus Luhansk, doch jetzt führt er seine Geschäfte von Kiew aus. Stolz erzählt er von der hart umkämpften und knappen 0:1-Niederlage seines Klubs in Manchester im September.
"Wir haben nur 0:1 verloren!" sagt er. "Und das, obwohl ein Ibrahimovic alleine so viel kostet wie unsere ganze Mannschaft zusammen. Die Voraussetzungen hätten unterschiedlicher nicht sein können, aber wir haben ihnen einen Kampf auf Augenhöhe geliefert."
Vladimir hat Glück, denn das Gerücht hat sich nicht bewahrheitet, das Spiel gegen Manchester kann doch stattfinden. United gewinnt mit 2:0 durch Tore von Henrikh Mkhitaryan und Zlatan Ibrahimovic, dem die Kälte offenbar doch nicht so viel ausmacht.
Rückkehr in die Heimat noch keine Option
Für die 1000 Zorya-Fans ist es an der Zeit, die weite Heimreise anzutreten. Daran wird sich wohl auch so schnell nichts ändern.
"Im Mai war ich noch einmal in Luhansk", sagt Vereinschef Rafailov. Das Stadion wurde zwar repariert, aber in unserer jetzigen finanziellen Situation können wir uns die Instandhaltung und Wartung des Stadions nicht leisten. Wann wir zurückkehren können? Das wissen wir nicht. Keiner weiß das."
Auch wenn das Abenteuer Europa für Zorya jetzt zu Ende ist, in der Liga wird das Team weiter angefeuert. Von wo auch immer die Fans auch herkommen.
"Wir kämpfen um Platz zwei in der Liga. Die Champions-League-Quali ist möglich", sagt Vladimir. "Wir sind stolz auf unsere Jungs. Sie haben eine unfassbar starke Willenskraft. Sie sind wahre Männer, richtige Kämpfer. Sie haben ihre Familien verloren, ihr Zuhause und ihre Heimatstadt. Aber was sie stattdessen gefunden haben, ist unser Team."