Zu viel Macht für Thailands Premier?
5. September 2005Das neue Gesetz ist umstritten, weil es dem Premier unbegrenzte Macht verleiht. Thaksin Shinawatra kann den Notstand ausrufen, wobei ihm dann sämtliche Autoritäten unterstellt sind, egal ob Ministerien oder das Militär. Der Regierungschef rechtfertigte die Einführung des Notstandsgesetzes mit dem immer blutiger werdenden Konflikt in den drei muslimisch dominierten Südprovinzen Yala, Pattani und Narathiwat. Dabei ist immer noch unklar, wer eigentlich hinter der Gewalt steckt.
Bis zu 30 Tage in Gewahrsam
Unter anderem erlaubt die neue Regelung, die das bisherige Kriegsrecht in den drei Provinzen ersetzt, mutmaßliche Verdächtige bis zu 30 Tage in so genannten Gewahrsam zu nehmen. Unter Kriegsrecht durften Beschuldigte nur maximal bis zu sieben Tage festgehalten werden. Auch kann Thaksin Medienberichte zensieren und Telefone anzapfen lassen.
Der besondere Knackpunkt: Die Verordnung kann auf unbestimmte Zeit verlängert werden und für das ganze Land gelten, nicht nur für die Südprovinzen. Das bereitet dem Präsidenten des thailändischen Juristenverbandes, Dej-Udom Krairit, mit die größten Sorgen: "Es gibt keine Kontrolle mehr hinsichtlich dieser neuen Verordnung. Wenn er das ganze Land zum Notstandsgebiet erklären will, kann er das faktisch schon morgen tun. Es ist eine Generalvollmacht - selbst während der Unruhe-Phasen in den vergangenen 30 Jahren, als wir für die Demokratie kämpften, habe ich noch nie solch ein Notstandsgesetz erlebt, das dem Premierminister eine so weit reichende Autorität verleiht."
Während der blutige Konflikt im Süden als offizielles Argument für das umstrittene Gesetz herhalten muss, vermuten Kritiker etwas ganz anderes: Sie werfen Thaksin vor, seine Macht nur noch weiter ausdehnen zu wollen. Der Menschenrechtsaktivist Gothom Arya fasst seine Besorgnis zusammen: "Mir hat man beigebracht, dass Demokratie Rechtsstaatlichkeit bedeutet. Aber was für eine Gesetzgebung haben wir hier? Das Gesetz gibt alle Regelungen in die Hand eines Mannes mit der gleichzeitigen Versicherung, dass wir ihm vertrauen können."
Die Kritik am Notstandsgesetz kommt für Thailand zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Denn die sich zunehmend verschlechternde Menschenrechtslage in dem Land sorgt schon seit längerem für Schlagzeilen - auch im Ausland. Da gab es im Jahr 2003 den von Thaksin initiierten "Krieg gegen die Drogen", bei dem mehr als 2300 Menschen getötet worden waren. Beobachter kritisierten, dass es sich dabei mehrheitlich um gesetzwidrige Tötungen gehandelt habe.
Muslim-Anwalt seit über einem Jahr verschwunden
Manchmal passiert es auch, dass unliebsame Kritiker einfach von der Bildfläche verschwinden: Wie zum Beispiel der Muslim-Anwalt Somchai Neelaphaijit. Dieser hatte sich für eine Aufhebung des Kriegsrechts im Süden stark gemacht und Folter in Polizeigewahrsam angeprangert. Der Anwalt verschwand am Abend des 12. März 2004, bis heute fehlt von ihm jede Spur. Seine verzweifelte Frau hatte kürzlich vor der UN-Menschenrechtskommission in Genf ausgesagt und sich beklagt, dass Untersuchungen zum Verschwinden ihres Mannes in Thailand keinerlei Fortschritte gebracht hätten.
Das umstrittene Notstandsgesetz werde nur noch mehr Öl ins Feuer gießen, fürchten Kritiker. Auch sei es ein Schlag ins Gesicht für das "Komitee für Nationale Versöhnung", das die schwierige Aufgabe hat, nach einer friedlichen Lösung des Konflikts in den Südprovinzen zu suchen. Die besondere Ironie dabei: Jenes Komitee wurde ursprünglich von Premier Thaksin höchstpersönlich eingesetzt.
Wiederholt hat Regierungschef Thaksin beschworen, das neue Notstandsgesetz sei keine Lizenz zum Töten. Doch seine Kritiker glauben ihm das nicht. Sie werden die Entwicklung weiterhin argwöhnisch beobachten. Ob sie sich in Zukunft dazu noch äußern dürfen, bleibt abzuwarten.