Zuckermarkt im Umbruch
19. November 2015Tiefe dunkle Wolken hängen über den Feldern von Landwirt Matthias Krieg. Es ist Mitte November, die Ernte der Zuckerrüben läuft auf Hochtouren in Sachsen-Anhalt. Noch bis Anfang Dezember rattern seine Landmaschinen über die Felder, graben die schwarzen, bis zu fünf Kilo schweren Rüben aus der Erde.
Auf 230 Hektar baut Matthias Krieg Rüben an. Er ist einer von vielen Landwirten in der Region, der mit den Rüben sein Geld verdient. "Der Rübenanbau hat hier eine lange Tradition. Er war immer lukrativ, wir haben immer gut verdient. Ich hoffe, dass das in Zukunft auch so ist." Doch Matthias Krieg weiß, dass das bald ganz anders sein könnte.
Eine halbe Autostunde entfernt in Zeitz befindet sich ein Werk des weltweit größten Zuckerherstellers, Südzucker. Das Unternehmen betreibt insgesamt neun Fabriken in Deutschland und beschäftigt 18.000 Mitarbeiter. Im Minutentakt fahren die Lkw auf den Hof - voll beladen mit Zuckerrüben, auch die von Landwirt Matthias Krieg sind dabei. Mit großem Gepolter werden sie in tiefe Schächte gekippt.
Rübenbauern machen sich Sorgen
Betriebsleiter Andreas Kunz kontrolliert die Ware. "Bei voller Auslastung der Fabrik verarbeiten wir hier 12.500 Tonnen Rüben am Tag, das entspricht ungefähr 600 Lkw-Ladungen", erklärt Kunz. Auf Bändern werden die Rüben zum Waschen befördert und dann weiter in die Fabrik.
Bislang zahlte Südzucker einen Basispreis an die Bauern für die Rüben, doch damit ist es bald vorbei. In den nächsten Monaten werden die Verträge neu verhandelt. Die Regeln für garantierte Rübenmindestpreise und feste Vermarktungsquoten für Unternehmen sind dann vom Tisch. 2017 bekommt die EU den liberalsten Zuckermarkt der Welt. Allein Angebot und Nachfrage bestimmen dann den Markt.
Bis ins 18. Jahrhundert war Zucker ein kostbarer Rohstoff, heute ist er zur Massenware geworden. Es gab noch nie so viel davon. Die Lagerbestände haben neue Rekorde erreicht. In Brasilien, Indien, Thailand, den größten Produzenten der Welt, türmen sich die Zuckerberge, während die Ernte ausgeweitet wird. Und: Alle drängen mit ihrem Zucker auf den Weltmarkt, schielen auch nach Europa.
Zuckerschwemme drückt auf Preise
Schon jetzt hat die Europäische Union mehr Zucker aus dem Ausland in den Markt gelassen. Einige Entwicklungsländer dürfen schon länger Zucker zollfrei in die EU liefern. Das wirkt sich auf den Preis aus - in Europa ist er auf Talfahrt. Allein von März 2014 bis März 2015 ist er um fast 200 Euro auf 420 Euro die Tonne gefallen - und gleicht sich damit immer mehr dem Weltmarktpreis an.
Diese Entwicklung macht Südzucker-Betriebsleiter Andreas Kunz und seinem Chef Philipp Schlüter, der für mehrere Werke von Südzucker zuständig ist, Sorgen. "Wir sind unter Druck. Wir verdienen im Moment nicht das Geld, um unsere Kosten zu decken und werden im Zuckerbereich Verluste machen in diesem Geschäftsjahr." Für Südzucker heißt das, so Schlüter, dass Stellen in der Verwaltung des Unternehmens gestrichen werden müssen.
In großen Hallen neben dem Werkshof werden die Rüben in einem aufwendigen High-Tech-Verfahren zu Zucker verarbeitet, mehrere Proben entnommen und dann in Ein-Kilo-Tüten oder in sogenannte Big Bags abgefüllt - für Großkunden, wie Bäckereien und die Lebensmittelindustrie.
Expansion – Flucht nach vorn?
Eigentlich steht Südzucker gut da. Als weltweit größter Hersteller, mit ausgefeilter Logistik und Technik und einer Beteiligung am zweitgrößten Zuckerhändler der Welt, der britischen ED&F. Wenn die Regeln wegfallen, will das Unternehmen die Produktion sogar ausweiten. Selbst eine Expansion ins Ausland wäre denkbar, so die Konzernleitung - etwa nach Brasilien, dem größten Zuckermarkt der Welt. Dort wird Zucker aus Zuckerrohr gewonnen, der könnte wiederum zur Konkurrenz für die Zuckerrüben werden.
Was das alles für Landwirt Matthias Krieg in Sachsen-Anhalt bedeutet, ist schwer abzusehen. Er will jetzt das Frühjahr abwarten, dann wird die Zuckerindustrie den Landwirten neue Preise anbieten, die Verträge neu regeln. "Jeder muss dann selbstständig entscheiden, ob er sich bei dem Preis den Zuckerrübenanbau noch leisten kann oder, ob er sich vom Zuckerrübenanbau verabschieden muss", sagt Matthias Krieg.