"Zuerst Italien": Wer ist Giorgia Meloni?
26. September 2022Die neofaschistische Partei Fratelli d'Italia hat ihren Sitz in der Via della Scrofa in Rom. Eine kleine Tafel aus Plexiglas weist darauf hin, sie hängt rechts vom großen Torbogen des gelb getünchten Palazzo, nicht weit vom Sitz des Parlaments im historischen Zentrum der Stadt.
Links des Torbogens finden sich eine Steinplatte und ein verwelkter Kranz. Sie erinnern an den antifaschistischen Widerstandskämpfer Alberto Marchesi. 1944 wurde er von deutschen SS-Männern in den Adreatinischen Höhlen hingerichtet. Ein seltsames Nebeneinander.
In der Via della Scrofa 39 residieren seit 1946 neofaschistische Parteien. Erst die Bewegung MSI, dann die nationale Allianz und jetzt die Brüder Italiens, benannt nach dem ersten Vers der italienischen Nationalhymne. Giorgia Meloni, die Parteivorsitzende, hat viel Wert darauf gelegt, in dem historischen Gebäude zu bleiben, in dem Gefolgsleute des ehemaligen faschistischen Führers Benito Mussolini ein- und ausgingen. Ansonsten hat sie nach eigenen Angaben ein ungebrochenes Verhältnis zur Geschichte. Diktator Mussolini sei "eine vielschichtige Persönlichkeit" gewesen, sagt sie in Interviews. Unter Mussolini habe es auch Gutes gegeben - das ist noch heute die Meinung mancher Italiener.
Wenig Distanz zum Faschismus
Eine klare Distanzierung vom Faschismus gibt es von Meloni nicht. In ihrer Autobiografie schreibt sie, ihr sei bewusst, dass sie ein politisch vermintes Feld betrete: "Wir sind Kinder unserer Geschichte. Unserer ganzen Geschichte. Wie für alle anderen Nationen ist unser Weg, den wir zurückgelegt haben, komplex, sehr viel komplizierter, als viele es erzählen wollen." Nur den Führerkult des Faschismus lehnt die Parteichefin ab, wie sie schreibt.
Ein Symbol der Faschisten ist ständig präsent, wenn Giorgia Meloni zum Beispiel Pressekonferenzen in der Parteizentrale abhält. Hinter ihr prangt dann das Logo der Brüder: eine stilisierte Flamme in den italienischen Farben. Diese ewige Flamme brennt im übertragenen Sinne an Mussolinis Grab. "Ich habe nichts, für das ich mich entschuldigen müsste in meinem Leben", so Meloni. "Aber in zwei von drei Fernsehdiskussionen soll ich über Geschichte und nicht über aktuelle Politik reden. Das finde ich nicht richtig."
Kein "römischer Gruß" mehr
Mit Blick auf die Parlamentswahlen hatte Giorgia Meloni ihre Parteigliederungen schon im vergangenen Herbst per interner Memos angewiesen, keine extremen Aussagen mehr zu machen, keinen Bezug auf Faschismus zu nehmen und vor allem den "römischen Gruß" zu unterlassen, der dem "Hitlergruß" mit ausgestrecktem rechtem Arm ähnelt. Ihre Partei, an deren Spitze sie nun wohl Ministerpräsidentin wird, wollte sie aus der extremen Ecke ins mutmaßliche Mitte-Rechts-Lager führen. Schließlich will Giorgia Meloni eine Koalition mit den anderen rechten Parteien bilden, der Lega unter Matteo Salvini und der Forza Italia von Silvio Berlusconi - und dieses Bündnis soll eine bürgerlich-rechte Fassade haben.
"Dass sie (Meloni) es in Italien so weit gebracht hat, liegt an all denen, die sie schönfärben. Von den Medien, die darauf bestehen, Salvini und Meloni als Mitte-Rechts zu bezeichnen, über Berlusconi und die Grillini (Anhänger der Fünf-Sterne-Bewegung, Anm. d. Red.), die sie an die Macht gebracht haben, bis hin zu einer desorientierten linken Mitte, die sie unterschätzt und legitimiert hat", meint die spanische Journalistin Alba Sidera, die sich seit Jahren mit der Rechten in Italien befasst. "Meloni ist nicht aus dem Nichts aufgetaucht. Seit Jahren bereitet sie sich darauf vor, Premierministerin zu werden."
Neofaschistische Funktionärin
Giorgia Meloni, Jahrgang 1977, trat als 15 Jahre alte Schülerin der Jugendfront der neofaschistischen Partei MSI bei, um ein Zeichen gegen den linksextremen Terror jener Jahre in Italien zu setzen. Später führte sie die Studentenvereinigung der rechtsextremen Nationalen Allianz und wurde 2006 in die Abgeordnetenkammer des italienischen Parlaments gewählt. 2008 wurde sie die jüngste Ministerin Italiens. Mit 31 Jahren übernahm sie das Jugendressort in der Regierung von Silvio Berlusconi. Vor zehn Jahren gründete Giorgia Meloni die Fratelli d'Italia (Brüder Italiens), deren Vorsitz sie seit 2014 innehat. 2020 übernahm sie auch den Vorsitz der europäischen Parteifamilie ECR, zu der unter anderem die polnische Regierungspartei PiS gehört.
Populismus pur
Mit dem populistischen Slogan "Zuerst Italien und die Italiener!" ist Meloni in den Wahlkampf gezogen. Zu ihrem Programm gehören mehr familienfreundliche Wohltaten, weniger europäische Bürokratie, niedrige Steuern, ein Stopp von Einwanderung. Die EU-Verträge und Italiens Mitgliedschaft in der Währungsgemeinschaft Euro will sie neu verhandeln. Abtreibungen lehnt sie ebenso ab wie die Ehe für alle. Wirtschafts- und außenpolitisch ist die gelernte Fremdsprachensekretärin relativ unerfahren. Sie hat zeitlebens als Abgeordnete und Parteifunktionärin gearbeitet.
Radikal selbstbewusst
Auf die beißende Kritik an ihrer Person aus dem linken politischen Lager reagiert Giorgia Meloni gelassen. So hatte die Schriftstellerin Ginevra Bompiani dem Fernsehsender La7 gesagt, "die Meloni ist ein echter Trottel, (...) sie ist von Nazis umgeben". Die angegriffene Meloni erwiderte auf Facebook, sie sei es leid, immer als "die schwarze Dame" dargestellt zu werden. Ihre Gegner seien nur verzweifelt, weil sie so erfolgreich sei. Sie mit Mussolini, Hitler oder Putin in Verbindung zu bringen, sei lächerlich. "Ich unterstütze schließlich die Ukraine", so die Parteichefin. In einem Fernsehinterview empfahl sie ihren Kritikern, sich ein Beispiel an Frankreich oder Deutschland zu nehmen. Dort seien auch rechtspopulistische Parteien erfolgreich gewesen und niemand habe daraus einen Skandal gemacht. "Warum sollte das in Italien anders funktionieren?" In Deutschland bezog sich Meloni auf die AfD, die bei den Bundestagswahlen Stimmen verloren hat und auf gut zehn Prozent kam.
In Europa setzt die Chefin der Brüder Italiens auf italienische Führung, um die EU zu einer lockeren Wirtschaftsvereinigung umzuformen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sei geschwächt durch die fehlende Mehrheit im Parlament. Bundeskanzler Olaf Scholz sei unsicher, meinte Meloni in einem Interview mit dem öffentlich-rechtlichen Sender RAI. Scholz habe sicher nicht die gleiche Stärke wie seine Vorgängerin Angela Merkel. Und da käme sie dann ins Spiel, suggerierte Meloni, die mit einem Fernsehjournalisten zusammenlebt und genau auf ihr neues seriöses Image achtet.
Dieser Artikel wurde zuerst am 26.07.2022 veröffentlicht und am 26.09.2022 aktualisiert.