Afghanische Ortskräfte
12. Februar 2013Sie sind Dolmetscher, Wachpersonal oder Handwerker. Sie sind Afghanen, aber sie sind für die deutschen Streitkräfte tätig. Rund 1300 Ortskräfte arbeiten derzeit nach Angaben eines Sprechers des Bundesverteidigungsministeriums mit den deutschen Soldaten zusammen. Wie es mit ihnen nach 2014 weitergeht, ist unklar. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl fordert nun ein Aufnahmeprogramm für Übersetzer und anderes Personal, das wegen seiner Kooperation mit den Deutschen Anschläge von den Taliban fürchten muss.
"Die politische Führung der Bundeswehr, der Verteidigungsminister, hat keinen Gedanken daran verschwendet, was aus den Dolmetschern wird, wenn die Bundeswehr abzieht", bemängelt Günter Burckhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, der DW. "Wenn die Bundeswehr Menschen anwirbt, dann kann sie nicht einfach Konzepte machen, wie sie die Panzer aus Afghanistan wieder rausbekommt, aber die Menschen, die gefährdet sind, dort lassen. Ich muss vorrangig die Menschen evakuieren, und dann erst das Militärgerät."
Die ersten drei Anträge liegen schon vor
Das Thema der Ortskräfte, die nach Deutschland wollen, scheint aber schon jetzt - knapp zwei Jahre vor dem Ende des Nato-Kampfeinsatzes in Afghanistan - akut zu werden. Die ersten drei Ortskräfte hätten bereits die Aufnahme in Deutschland beantragt, bestätigte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums.
Burckhardt ist empört darüber, wie die Bundeswehr mit den Ortskräften umgeht, die teilweise groβe Gefahren für die deutschen Truppen in Kauf nehmen. Als Arbeitgeber könne man Angestellte in so einer brenzligen Lage nicht in der Luft hängen lassen, meint Burckhardt: "Das ist weder moralisch, noch arbeitsrechtlich in Ordnung. Wir erwarten und verlangen, dass Menschen, die für die Bundeswehr arbeiten, geschützt werden. Die Bundeswehr hat da eine Fürsorgepflicht." Die Bundeswehr verletze diese Fürsorgepflicht auch, weil sie die Ortskräfte nicht über Möglichkeiten, nach Deutschland umzusiedeln, aufkläre, kritisiert Burckhardt.
In Regierungskreisen wird hingegen betont, man kümmere sich um Betroffene in Afghanistan. Deutsche Arbeitgeber wie die Bundeswehr führten Beratungsgespräche vor Ort, in denen die Einheimischen ihre Ängste äußern können. Wenn ein ausreichender Schutz der Ortskräfte in Afghanistan nicht gewährleistet werden könne, wäre eine Aufnahme in Deutschland unter humanitären Gesichtspunkten möglich, hieß es aus Berlin.
Von Fall zu Fall
Ein einheitliches Gesetz, dass Ortskräften die Aufnahme in Deutschland erleichtern würde, plant die Bundesregierung aber nicht.
Verteidigungsminister Thomas de Maizière sagte im deutschen Fernsehen im Mai 2012, er wolle, dass die Ortskräfte in Afghanistan bleiben: "Sie bilden eine Basis für eine gute wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Wenn sie aber persönlich gefährdet sein sollten, dann holen wir sie mitsamt ihren Familien nach Deutschland."
Aus Regierungskreisen wurde der DW auch mitgeteilt, jeder Fall einer sich bedroht fühlenden Ortskraft werde einzeln geprüft. Die Aufnahme in Deutschland werde erst als letzter Schritt in Erwägung gezogen. Davor werde abgeklärt, ob eine Umsiedlung innerhalb des Landes sinnvoll sei, wenn der Betroffene Angst habe, von seinen Nachbarn erkannt zu werden. Ein einheitliches Visaverfahren, wie es die USA oder Kanada für ihre Ortskräfte haben, sei nicht für sinnvoll befunden worden, weil die Situation vor Ort nicht von Gesetzgebern in Deutschland eingeschätzt werden könne.
Die Männer, die oft seit Jahren mit der Bundeswehr arbeiten, sind bilingual und haben eine Berufsausbildung. Bei der Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft könnten sie eine große Rolle spielen. Aus Berlin hieß es auf Anfrage der DW, dass die afghanische Regierung Leute wie die Ortskräfte zum zivilen Weiteraufbau brauche, und einen "Braindrain" verhindern möchte.
Kind eines Dolmetschers entführt
"Lieber Braindrain, als dass die Leute tot sind", sagt Omid Nouripour, sicherheitspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, der DW. Die Ortskräfte helfen der Bundeswehr, ihre Arbeit gut zu tun, jetzt müsse auch ihnen geholfen werden. Und Gefahr besteht nicht erst nach dem Abzug der Truppen. Schon jetzt müssen Afghanen, die der Bundeswehr helfen, um ihre Sicherheit und die ihrer Familien fürchten.
"Ich kenne einen Fall, in dem sogar das Kind eines Dolmetschers entführt worden ist, und zwar mit der expliziten Begründung, dass das Kind einen Vater hat, der mit den Deutschen arbeitet", sagt Nouripour. "Das Kind ist Gott sei Dank danach wieder freigekommen, aber man sieht daran, wie dramatisch gefährlich die Situation wird für diejenigen, die mit den Deutschen arbeiten."
Wie soll der Umgang mit gefährdeten Ortskräften nach 2014 geregelt werden - Einzelfallprüfung oder koordiniertes Aufnahmeprogramm? Beides, sagt Nouripour. "Eine Einzelfallprüfung, die großzügig gemacht wird, die den Leuten nicht permanent bürokratische Hindernisse in den Weg stellt, und die gut informiert, ist nicht per se falsch. Aber ein Aufnahmeprogramm ist natürlich die Basis dafür."