Aidstest im Truck
3. April 2012Mary-Ann und Angeline fragen sich an diesem Vormittag immer und immer wieder, ob sie wirklich zum großen Platz gehen sollen, um sich testen zu lassen. Sie sind 19 und 21 Jahre alt, beide Single. An diesem Tag wird vom staatlichen Laborservice nicht nur ein HIV-Test angeboten, sondern auch einer für Tuberkulose. Niemand würde erfahren, was die beiden jungen Frauen dort in dem weißen Zelt untersuchen ließen, ob Spucke oder Blut oder beides. "Gehen wir hin?", fragt Mary-Ann. "Gehen wir", antwortet ihre ältere Schwester.
Willkommen am Ende der Welt
Draußen auf der Straße huschen die Hunde zur Seite, ein großer, weißer Lastwagen fährt hoch zum Platz. Uwe Schön weist den Fahrer ein und kann es noch gar nicht fassen. "Endlich sind wir am Ziel", sagt er. "Endlich dürfen wir erleben, wie unser Baby eingesetzt wird." Wobei das Baby 15 Meter lang, zweieinhalb Meter breit und vier Meter hoch ist - das erste mobile Sicherheitslabor der Welt.
Uwe Schön ist Physiker am Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik in Sulzbach im Saarland (IBMT) und hat die vergangenen fünf Jahre als leitender Ingenieur an diesem Truck gearbeitet. Die 40-jährige Suzette Pfeiffer eilt herbei. "Könnt ihr mit diesem Ding das Blut sofort untersuchen?", fragt sie. Uwe Schön nickt. "Das ist gut", freut sich die Frau und erklärt, dass sie in einem Altenheim arbeite und dass die Proben auf dem Weg nach Kapstadt regelmäßig verloren gegangen seien. "Das ist sehr gut! Willkommen am Ende der Welt!"
Hochsensible Technik
Tatsächlich schließt die Idee eines mobilen Labors die entscheidende Lücke bei der Versorgung von Patienten hier in Afrika, wo die Wege meist lang und beschwerlich sind, wo die Armut so groß ist, dass es sich die Menschen schlicht nicht leisten können, zwei Tage für einen HIV-Test zu verlieren. "Das ist das Problem", erklärt Professor Hagen von Briesen, einer der renommiertesten Zellbiologen weltweit und der wissenschaftliche Leiter des Projektes Mobile-Lab. "Die Menschen verlieren zudem Zeit, in der die Therapie bereits beginnen könnte." Deshalb entstand 2007, weit entfernt von Afrika, im Saarland, die Idee eines mobilen Labors, das diese Prozedur vor Ort auf wenige Stunden verkürzt.
Im Inneren des mobilen Labors laufen die Vorbereitungen für die Untersuchung der ersten Proben. Sim, der Laborant, stellt eine Internetverbindung her, sein Kollege Byron betritt durch die Schleuse den hinteren Bereich, jene Einheit, in der die Technik steht. Die Luft, die hier verbraucht wird, gelangt durch Filter hinein und heraus, um Mitarbeiter, Patienten und Umwelt zu schützen. "Wir haben hier so perfekte Bedingungen wie in einer Klinik", schwärmt Byron.
HIV noch immer ein Tabuthema
Jeweils ein Tropfen Blut von Mary-Ann und Angeline werden auf den Schnelltest-Streifen gegeben, danach heißt es warten. "Wie lange?" Janine Ross nimmt die beiden zur Seite: "Nicht lange", sagt sie. Die 25-Jährige betreut mehrere Hundert HIV-Patienten in dieser Gegend jenseits der Berge. "Am meisten frustriert mich, dass HIV bis heute in vielen Teilen der Bevölkerung Südafrikas ein Tabuthema ist", erklärt die Sozialarbeiterin. Eine ihrer Klientinnen ist Edwina, 24, sie ist seit sieben Jahren HIV positiv. "Mein Freund weiß Bescheid, der ist auch positiv, meine Mutter hat keine Ahnung", erklärt sie. Sechs Tabletten schluckt sie jeden Morgen, sechs jeden Abend. "Ach ja, ich kann damit leben. Das zwischenmenschliche Leben macht wieder Spaß."
Fast 20 Prozent der Bevölkerung Südafrikas ist HIV positiv, einer der höchsten Werte der Welt. 1990 war noch ein Prozent der Schwangeren erkrankt, heute sind es 30 Prozent. Eine Katastrophe, aber auch die Geschichte eines Wunders. Vor 30 Jahren beschrieben die Ärzte Michael Gottlieb und Wayne Sandera zum ersten Mal in einer Ausgabe von "Morbidity and Mortality" die ersten Aids-Fälle. 25 Millionen Menschen starben seither an der Krankheit. "Heute muss niemand mehr an Aids sterben, die Arzneimittel wirken", sagt der Frankfurter Virologe Professor Wolfgang Preiser, Leiter der Virologischen Abteilung am Tygerberg-Hospital in Kapstadt. "Jetzt geht es darum, einen Impfstoff zu finden." Und genau hier könne das mobile Labor lebensrettende Dienste leisten. An Bord befindet sich nämlich eine Kryobank. Eine technische Anlage, mit der sich Blutproben von HIV-Patienten noch vor Ort digitalisieren und bei 195 Grad unter null lagern lassen.
Finanziert wurde die Entwicklung dieser Technik am Fraunhofer-Institut in Sulzbach zu einem großen Teil durch die Bill und Melinda Gates-Stiftung, die sich unter anderem in der Forschung nach Aids-Impfstoffen engagiert.
Tuberkulose ein ebenso großes Problem wie HIV
Mary-Ann und Angeline haben auch eine Sputumprobe abgegeben. Byron untersucht diesen Auswurf im mobilen Labor. Tuberkulose ist nicht nur extrem ansteckend, sondern in dieser Gegend Südafrikas ein mindestens genauso großes Problem wie HIV. "Während man HIV inzwischen behandeln kann", so von Briesen, sieht das bei Tuberkulose in Kombination mit einer HIV-Infektion schwieriger aus. Hier ist der Faktor Zeit bei der Früherkennung besonders wichtig, und hier wird man die positiven Auswirkungen des mobilen Labors deutlich sehen." Zwei Stunden später werden die jungen Frauen zu Janine Ross gebeten, der Sozialarbeiterin. "Ich habe euer Ergebnis", sagt sie. "Und?" Die Nervosität ist Mary-Ann und Angeline deutlich anzumerken. "Keine offene TBC, keine HIV-Infektion. Passt auf euch auf!" Dass die zermürbende Warte- und Leidenszeit durch das mobile Labor nun verkürzt werde, sei wundervoll, schwärmt Janine.
Am Abend dieses Tages parkt Uwe Schön das Fahrzeug im Hof des örtlichen Krankenhauses, und es dauert nicht lange, bis die ersten Paviane aus den Wäldern kommen. "Kann man das Labor von innen abschließen?", will Byran wissen. Uwe Schön verneint. "Das muss verbessert werden", erklärt der Südafrikaner. "Paviane sind kräftig, sie können Türen öffnen – und sie klopfen vorher nicht an."