Wie Chiles Dörfer für E-Autos austrocknen
27. Januar 2020Mitten in der trockensten Wüste der Welt befindet sich eine riesige Fläche mit türkisfarbenen Wasserbecken. Jedes einzelne ein riesiger Swimmingpool, bis zu 20 Mal so groß wie ein Fußballfeld. Die Becken sind mit Salzwasser gefüllt. Es wird aus Ablagerungen unter der Wüstenerde hochgepumpt. Diese Sole enthält Lithiumkarbonat, den Rohstoff für ein leichtes, silbriges Metall, das als Bestandteil von Batterien heute in fast allen Computern, Telefonen und Elektroautos zu finden ist.
Auf den ersten Blick wirkt die Atacama-Wüste Chiles wie ein karger, unwirtlicher Ort. Doch wie Flora und Fauna haben sich auch die Ureinwohner an ihre Umgebung angepasst. Bis jetzt. Denn nun haben die Einheimischen einen neuen mächtigen Konkurrenten um die knappen Wasserressourcen der Wüste bekommen - die Minengesellschaften.
"Wasser ist Leben"
Coyo ist eine von Dutzenden kleiner Ortschaften in den vereinzelten Oasen der Wüste. Die Mitglieder der Gemeinde wechseln sich mit der Wasserentnahme aus dem San-Pedro-Fluss ab. Nach zwei Wochen Wartezeit kann Hugo Diaz heute endlich seine Felder bewässern.
"Bevor die Minengesellschaften hierher kamen, gab es eine Menge Wasser", sagt Diaz der Deutschen Welle (DW). "Aber der Bergbau hat das Grundwasser verbraucht, die Firmen nehmen sogar Wasser aus dem Fluss, so dass wir Bauern nicht mehr das Wasser bekommen, das wir brauchen."
Für die Atacameños hat Wasser nicht nur einen materiellen sondern auch einen kulturellen und spirituellen Wert. "Wir brauchen das Wasser nicht nur für unsere Landwirtschaft, sondern auch für unsere traditionellen Bräuche. Wasser ist Leben", erläutert Vladimir Reyes, einer der Ältesten hier in der Coyo Gemeinschaft. Der 58-jährige Farmer zeigt auf Markierungen im Bewässerungskanal, die von den höheren Wasserständen vergangener Zeiten zeugen. "Heute können nur noch sehr wenige Bauern ihren Lebensunterhalt hier verdienen", sagt er. "Zwar versuchen einige junge Leute, noch etwas über die Landwirtschaft zu lernen, aber sie stehen vor dem Hindernis, dass das Wasser immer weniger wird. Diesen Schaden fügen uns die Bergbauunternehmen zu", sagt Reyes.
Das Saudi-Arabien des Lithiums
In Chile befinden sich die weltweit größten Reserven an Lithium. Von hier aus wird 40 Prozent des globalen Bedarfs an dem wertvollen Metall exportiert. "Saudi-Arabien des Lithiums" wird Chile deswegen genannt. Und es wird erwartet, dass sich die weltweite Nachfrage innerhalb der nächsten sechs Jahre verdreifacht.
Um Lithium aus der Sole zu gewinnen, wird die abgepumpte Flüssigkeit einfach der glühenden Sonne der Wüste überlassen, bis 95 Prozent des Wassers verdunstet sind. Das Lithium wird durch einen chemischen Prozess aus dem Rückstand abgetrennt und in die Verbindungen für wiederaufladbare Batterien umgewandelt.
2000 Liter Sole pro Sekunde
Die beiden in der Atacama operierenden Minengesellschaften, die chilenische SQM und die amerikanische Albemarle, pumpen jedes Jahr mehr als 63 Milliarden Liter Salzwasser aus den tieferen Schichten der Wüste nach oben - das sind pro Sekunde fast 2000 Liter. Zusätzlich verbraucht die Industrie eine beträchtliche Menge an Süßwasser.
Laut Bergbau-Kommission der chilenischen Regierung wurde der Atacama zwischen 2000 und 2015 viermal so viel Wasser entzogen, wie auf natürliche Weise in Form von Regen- oder Schmelzwasser in das Gebiet gelangte.
Nach Angaben der Minenbetreiber hat die Gewinnung des Salzwassers aus der Wüste keine Auswirkungen auf die Süßwasserversorgung der Atacama. "Die salzhaltige, mineralstoffreiche Sole ist nicht für die landwirtschaftliche Nutzung oder als Trinkwasser geeignet. Und wir arbeiten sehr eng mit den Gemeinden vor Ort zusammen, um sicherzustellen, dass wir auf nachhaltige Weise vorgehen", so Hailey Quinn, Kommunikationsmanagerin von Albemarle gegenüber der Deutschen Welle.
Untergrabung des Ökosystems
Es gibt nur wenige unabhängige wissenschaftliche Studien über die Wassermenge, die während des Verdunstungsprozesses verbraucht wird, oder über die Auswirkungen der Solegewinnung auf das Ökosystem. Eine der wenigen Expertinnen auf diesem Gebiet ist die Mikrobiologin Cristina Dorador. Sie hat Mikroorganismen in den Salzseen der Atacama-Wüste untersucht.
"Mikroorganismen sind die Basis von allem", sagt Dorador. "Durch den Abbau von Sole, wie er in den letzten zehn bis 20 Jahren stattgefunden hat, wurde die Menge an Mikroorganismen reduziert und das Ökosystem beeinträchtigt." Die im Wasser lebenden Mikroben lieferten Nahrung für Plankton und Krustentiere, erklärt die Biologin. Diese wiederum würden von größeren Tieren gefressen, etwa von der "charismatischsten aller Spezien" der Atacama - den hell gefiederten Flamingos der Salzwüste.
Kaum Rechte auf Land oder Wasser
Mehrere hundert Kilometer südlich der Atacama-Salzfläche wird auch die Maricunga-Salzfläche zur Lithiumgewinnung erkundet. Fast der gesamte Lithiumabbau in Chile findet derzeit in der Atacama statt, doch die Maricunga - etwa ein Zwanzigstel so groß wie die Atacama - birgt vorraussichtlich die nächst größten Lithiumreserven des Landes. Neben der SQM entwickelt das australisch-kanadische Salar Blanco Unternehmen gemeinsam mit dem staatlichen chilenischen Kupferminenbetreiber Codelco ein Lithium-Projekt in der Maricunga. Baubeginn soll laut Codelco noch dieses Jahr, spätestens aber Anfang 2021 sein.
Die Aussicht auf den erweiterten Lithiumabbau beunruhigt die Mitglieder der indigenen Colla-Gemeinde von Pai-Ote. Denn Chiles Indigene haben kaum formelle Eigentumsrechte an ihrem angestammten Land. "Niemand hat die Colla-Völker gefragt, ob sie wollen, dass in ihrem Gebiet Bergbau betrieben wird", berichtet Rechtsanwalt Ariel Leon, der die Pai-Ote berät, im DW-Interview. "Niemand hat mit ihnen über die Auswirkungen gesprochen, die der Bergbau auf die Wasserquellen in der Maricunga-Region haben könnte."
Die Gemeinde hatte bereits Probleme im Zusammenhang mit der Wassernutzung. Man verdächtigte ihre Einwohner, Wasser aus Reservoirs anzuzapfen, die ihnen nicht gehören. Damals wurde gegen die Einheimischen wegen des Verdachts auf "Wasserraub" ermittelt.
Chile ist eines der wenigen Länder der Welt, in dem die Wasserressourcen und das Wassermanagement zu fast 100 Prozent privatisiert sind. Dies und der unzureichende Schutz der indigenen Rechte gehen auf die noch heute gültige Verfassung von 1980 zurück, die unter der Militärdiktatur von Augusto Pinochet in Kraft gesetzt wurde. Die Massenproteste im vergangenen Herbst führten dazu, dass jetzt eine neue Verfassung erarbeitet werden könnte. Im April sollen die Chilenen über erste Schritte auf dem Weg dazu abstimmen.
Bis Chile seine indigenen Völker verfassungsrechtlich besser schützt, könnte es noch dauern. Allerdings verstößt der Staat laut Anwalt Leon mangels Einbeziehung der Ureinwohner in den Lithiumabbau-Gebieten bereits jetzt gegen die UN-Konvention für indigene Völker. Diese verpflichtet die Regierungen dazu, die Indigenen zu konsultieren, wenn größere Projekte ihre Umwelt beeinträchtigen.
"Elektroautos sind nicht die Rettung"
Viele der Atacama-Bewohner sehen, dass der Klimawandel die Wasserknappheit in der Wüste beschleunigt. Aber sie sagen auch, dass die Probleme in dem Gebiet erst mit der Lithium- und Kupfergewinnung begannen.
"Wir wollen, dass die Menschen wissen, dass Elektroautos nicht die Rettung des Planeten sind", betont Jorge Alvarez Sandon von der Coyo-Gemeinschaft. "Die Rettung ist das Gewissen eines jeden Menschen, die Erde so zu respektieren, wie wir es tun. Wenn sich jeder dessen bewusst wäre, bräuchten wir keine Elektroautos um den Planeten zu retten."
Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit dem Forschungsteam von Danwatch erstellt.