Viele syrische Flüchtlinge stehen wieder ganz am Anfang
3. Juli 2024Abdul Qader Basmaji verlor alles: Als türkische Sicherheitsbehörden den syrischen Flüchtling im März dieses Jahres in Istanbul verhafteten und in ein Abschiebezentrum brachten, hatte er nicht einmal die Möglichkeit, zu einem Geldautomaten zu gehen, um seine Ersparnisse abzuheben.
Wenige Tage später fand sich der 25-Jährige an der Grenze zwischen der Türkei und der Region Idlib im Nordwesten Syriens wieder.
Auf die Frage, ob er für den Verlust seines Jobs, seiner Wohnung, seiner Freunde und seiner Ersparnisse entschädigt wurde, reagiert Basmaji mit einem bitteren Lachen. "Niemand hat mich entschädigt", sagt er der DW in Idlib, der Hauptstadt der gleichnamigen Region. Immerhin hätten die türkischen Behörden nicht von ihm verlangt, die Kosten für die Abschiebung selbst zu tragen.
Hätte er das nötige Geld, er würde sofort wieder versuchen, nach Istanbul zurückzukehren, sagt Basmaji der DW. Nun aber ist er wieder in Syrien gelandet - zehn Jahre, nachdem er aus seiner Heimatstadt Aleppo geflohen war, weil er gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad protestiert hatte. Er habe nicht mehr als das Geld, das er am Tag seiner Verhaftung in seiner Hosentasche bei sich trug, sagt er.
"Angesichts der schweren Wirtschaftskrise, der Sanktionen, des fehlenden Wiederaufbaus und des eingeschränkten Zugangs zu grundlegenden Dienstleistungen und Arbeitsmöglichkeiten kommt die Rückkehr nach Syrien für viele Flüchtlinge einer Rückkehr zum Ausgangspunkt gleich", sagt Nanar Hawach, Syrien-Analyst bei der NGO International Crisis Group (ICG).
Abschiebungen aus der Türkei
Nach dem Ausbruch des Krieges in Syrien im Jahr 2011 flohen etwa 3,6 Millionen Syrer in die Türkei. Nicht alle von ihnen blieben dort. In letzter Zeit aber beobachten Menschenrechtsgruppen eine Zunahme von Zwangsrückführungen - und auf gesellschaftlicher Ebene immer wieder auch Ausschreitungen und Hetzkampagnen gegen die Flüchtlinge.
Seit Januar 2023 wurden mehr als 57.000 Syrer in die Region Idlib abgeschoben. Diese gilt als letzte Hochburg islamistischer Milizen und weiterer Oppositionsgruppen in Syrien. Die ohnehin katastrophale wirtschaftliche und humanitäre Lage der Region verschärfte sich zusätzlich durch das verheerende Erdbeben vom Februar 2023.
Die Folgen bekam auch Basmaji zu spüren: In der unter hoher Arbeitslosigkeit leidenden Region fand er keine feste Stelle. Derzeit arbeitet er als Aushilfe auf dem Bau. "Das reicht aber nicht aus, um über die Runden zu kommen", sagt er der DW. Er kann auch nicht zu seiner Familie nach Aleppo ziehen. Die Stadt wurde längst von den Streitkräften des syrischen Regimes zurückerobert. Dort droht ihm unmittelbare Gefahr. "Im besten Fall zwingen sie mich dort zum Militärdienst. Dort werde ich entweder getötet oder muss andere Syrer töten. Im schlimmsten Fall verschwinde ich und sterbe im Gefängnis", sagt er.
In Syrien müssen Männer unter 42 Jahren für eine unbestimmte Zeit in der Armee dienen. "Die Wehrpflicht ist für die Männer nicht nur lebensgefährlich. Sie bedeutet auch eine finanzielle Belastung für deren Familien. Denn die haben nun ein Mitglied, dessen Geld nicht einmal reicht, sich selbst zu versorgen", erklärt Experte Hawach. Allerdings würden in Damaskus derzeit Gespräche geführt, die darauf abzielten, die nachträglich zu leistende Wehrpflicht für Rückkehrer aufzuheben. "Das dürfte deren Bedenken teilweise auflösen."
Dennoch bleibt die Situation gefährlich. Zwar haben viele Syrer während des Krieges ihr Eigentum durch Zerstörung, Beschlagnahmung und fehlende Dokumente verloren. Doch Rückkehrer seien besonders gefährdet, sagt Hawach der DW. So hat das UN-Flüchtlingshilfswerk wiederholt erklärt, Syrien sei für Rückkehrer noch nicht hinreichend sicher. Und das Syrische Netzwerk für Menschenrechte berichtet, Tausende von freiwilligen und unfreiwilligen Rückkehrern seien nach ihrer Rückkehr aus der Türkei und dem Libanon verhaftet worden.
Abschiebungen aus dem Libanon
Anders präsentiert sich die Lage im Libanon. Das Land hat eine knapp 400 Kilometer lange Grenze mit Syrien. Auch dieses Gebiet steht unter der Kontrolle von Baschar al-Assad. "Nachdem sie sich mit dem Assad-Regime auf die Namen der Rückkehrer geeinigt haben, finanzieren die libanesischen Sicherheitsbehörden nun die Rückführungen der syrischen Flüchtlinge an die Grenze", sagt Muhsen AlMustafa vom Omran Center for Strategic Studies in Istanbul im DW-Gespräch.
Zwar beteuern die libanesischen Behörden regelmäßig, die Rückkehr der syrischen Flüchtlinge erfolge auf freiwilliger Basis. Doch die in Beirut ansässige Menschenrechtsorganisation Access Center for Human Rights dokumentierte im vergangenen Jahr 763 Fälle von Zwangsabschiebungen nach Syrien. Bis Mai dieses Jahres registrierte sie weitere 433.
Zu ihnen gehört der 27-jährige Trad. "Er wurde verhaftet, weil er über keine offizielle Aufenthaltsgenehmigung verfügte. Für seine Freilassung verlangten die Behörden eine Kaution in Höhe von 750 Millionen libanesischen Pfund (rund 7930 Euro)", sagt sein Vater Mamdouh im Gespräch mit der DW in Beirut. Mandouh bezahlte das Geld. Doch als er seinen Sohn dann abholen wollte, teilten ihm die Behörden mit, dieser sei bereits nach Syrien abgeschoben worden. "Seitdem ist er spurlos verschwunden", so der besorgte Vater zur DW.
Seine Hoffnungen ruhen nun auf internationalen Rechtsorganisationen und den UN. Beide fordern Regierungen wie die Türkei und den Libanon seit langem auf, dafür zu sorgen, dass internationale Hilfsgelder rechtskonform eingesetzt werden. Außerdem drängen sie darauf, den Konflikt in Syrien doch noch politisch zu lösen.
Mitarbeit: Rola Farhat, Libanon.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.