Zur Heiligkeit befreit
1. November 2015
Was feiern wir heute eigentlich? Allerheiligen? In katholisch-geprägten Regionen in Deutschland ist dieser Tag ein gesetzlicher Feiertag. Tausende Menschen zieht es an die Gräber ihrer Vorfahren. Allerheiligen? Bereits seit dem neunten Jahrhundert begeht die katholische Christenheit dieses Fest Jahr für Jahr am 1. November. Bräuche wie Halloween ranken sich um dieses Hochfest, Halloween: All Hallows‘ Eve, der Abend vor Allerheiligen. In Mexiko bereiten die Menschen auf den Friedhöfen ihren Verstorbenen ein wahres Fest mit Speisen, Getränken und Musik – El dia de los Muertos – der Tag der Toten.
An Allerheiligen gedenkt die katholische Kirche allen Heiligen. Neben den bekannten Christen, die der Papst heiliggesprochen und in den Heiligenkalender aufgenommen hat, sind das auch jene, von deren Heiligkeit kaum einer weiß. Ganz normale Menschen, die in ihrer Zeit unentdeckt oder im Verborgenen ein heiligmäßiges Leben führen. Alltägliche Heilige, deren heiligmäßiger Ruf nicht bis nach Rom, zum Papst vorgedrungen ist. Die Kirche geht davon aus, dass die Heiligen mit Jesus Christus im Himmelreich vereint sind, das, was wir uns für unsere Verstorbenen wünschen.
Was macht einen Heiligen aus?
Doch was macht einen Heiligen aus? Heilige wirken durch ihr religiös vorbildliches Leben, ein Leben, das sie an Jesus Christus ausrichten, ein Leben, in dem sie der Botschaft Jesu Christi konsequent folgen. Beispiele dafür gibt es viele: Sankt Martin, der seinen Mantel mit dem Bettler teilt, Nikolaus von Myra, der sich vernachlässigten Kindern annimmt, Mutter Teresa, die sich um Leprakranke und Sterbende auf den Straßen Kalkuttas sorgt, Pater Maximilian Kolbe, der für einen jüdischen Familienvater in Auschwitz in den Tod geht, der heilige Stephanus, der für sein Bekenntnis zu Christus gesteinigt wird, die heilige Elisabeth, die Arme und Kranke selbstlos versorgt. Die Liste katholischer Heiliger, die ihren Glauben durch ihr Leben bezeugt haben, ist lang.
Jedoch ist ihr Vorbild so groß, ihr außergewöhnliches Handeln so großartig, dass sie für uns gewöhnliche Christen oftmals unerreichte Vorbilder bleiben. Dabei ist ein heiligmäßiges Leben zu führen, kein Privileg einzelner weniger Christen, sondern Anfrage an jeden einzelnen von uns. Wir sind alle dazu aufgefordert, tagtäglich Jesus Christus ein Stück mehr nachzufolgen und somit mehr Anteil an seiner Heiligkeit zu erlangen. Die Gnade zur Heiligkeit haben wir durch unsere Taufe empfangen. Der Theologe Wolfgang Beinert formuliert dies so: „Die Heiligkeit des Einzelnen wird in der Taufe begründet und entfaltet sich durch die Übernahme der Gesinnung Jesu in einem moralisch heiligen Leben.“1)
Heilig, das kann also jeder Christ sein, der Mann, der sonntags neben mir im Gottesdienst steht, die junge Studentin von Gegenüber, die sich in der Obdachlosenküche engagiert, das Ehepaar im Nachbarhaus, das ehrenamtlich Sterbende im Hospiz begleitet, der Mönch, der auf seinem Weg der Gottsuche immer tiefer in die Geheimnisse der christlichen Spiritualität eindringt, die syrische Flüchtlingsfamilie, die unter Einsatz ihres Lebens ihre Kinder in Sicherheit bringt.
Mut zur Nachfolge Christi, Mut zur Heiligkeit
Die Schrifttexte zum heutigen Hochfest Allerheiligen machen uns Mut, dass Heiligkeit nichts Abgehobenes ist. Wir sind alle aufgerufen, Jesus Christus nachzufolgen und damit ein heiligmäßiges Leben zu führen. „Wir heißen Kinder Gottes, und wir sind es“ (1 Joh 3,1), hebt der Schreiber des Ersten Johannesbriefs alle Christen in die Verantwortung. Wer sich an Jesus Christus ausrichte und ihm damit ähnlich werde, so der Verfasser des Briefes, „heiligt sich, so wie Jesus Christus heilig ist“ (1 Joh 3,3). In den acht Seligpreisungen im Matthäusevangelium sagt Jesus selbst, was es bedeutet, ihm aufrichtig nachzufolgen. Er macht deutlich, wohin der Weg zur Heiligkeit führen kann. Eine große Herausforderung und eine große Hoffnung zugleich:
„Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.
Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben.
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden.
Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden.
Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.
Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.
Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet.
Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein“ (Mt 5,2-12).
1) Wolfgang Beinert (Hrsg.), „Die Heiligen heute ehren. Eine theologisch-pastorale Handreichung“, Verlag Herder, Freiburg i. Brsg. 1983.
Zum Autor:
Alfred Herrmann arbeitet als freier Autor in Berlin. Zuvor war er Pressesprecher des „Bonifatiuswerkes der deutschen Katholiken“ in Paderborn sowie Redakteur für Kirche und Spiritualität bei der christlichen Wochenzeitung „Neue Bildpost“ in Hamm. Herrmann, 1972 in Würzburg geboren, studierte Literaturwissenschaft, Geschichte und Katholische Theologie in Berlin.
Kirchliche Verantwortung: Dr. Silvia Becker, Katholische Hörfunkbeauftragte