Zwei Filmstudenten werben mit dem Tod
19. Dezember 2015In wenigen Tagen ist Weihnachten. Das bedeutet: Zeit mit der Familie, Geschenke, gutes Essen, ein geschmückter Tannenbaum – und neue Werbespots. Unlängst landete die Hamburger Werbeagentur "Jung von Matt" mit dem Clip #heimkommen für die Supermarktkette Edeka einen wahren Hit: 20 Millionen YouTube-Klicks in nur vier Tagen.
Whiskey sorgt für Gänsehaut
Doch es muss nicht immer eine weltweit agierende Werbeagentur sein. Viele Klicks erntete ein Team von Filmstudenten der Filmakademie Baden-Württemberg: Ihr Kurzfilm "Johnnie Walker - Dear Brother" erzielte 2,3 Millionen Klicks innerhalb von vier Tagen. Er handelt von zwei Brüdern, die zu Fuß in den wilden schottischen Highlands unterwegs sind. Der eine trägt ein mysteriöses Bündel aus Schnüren und Jute bei sich. Er wandert mit unbekanntem Ziel auf die schottische Küste zu. Der andere, sein Bruder, begleitet ihn - taucht aber immer wieder wie ein Gespenst aus dem Nichts auf oder verschwindet plötzlich. In der kurzen Laufzeit von nur 90 Sekunden schwant dem Zuschauer: Irgendetwas stimmt hier nicht.
Gemeinsam besuchen sie ihr altes, völlig ruinöses Elternhaus und verbringen ihren letzten Abend miteinander. In dieser Szene wird der Johnnie Walker-Whiskey subtil als Abschiedsgetränk in Szene gesetzt, ohne dabei aufdringlich ins Bild gerückt zu werden. Erst als die Brüder das Meer erreichen, wird klar, dass der eine Bruder verstorben ist: Der zweite Bruder verstreut nämlich dessen Asche aus der Urne, die er in einen Jutebeutel versteckt, bei sich trug, ins Meer.
Der Spot ist unterlegt mit stimmungsvoller Musik, einem vertonten Gedicht und überzeugt mit Hochglanzbildern. Gedreht wurde in Schottland. Die Arbeiten dazu dauerten insgesamt eine Woche, davon wurde drei Tage lang gedreht. Die Studenten fanden die beiden Darsteller Mathew Lewis Carter und Robin Guiver über eine Londoner Castingagentur. "Sie hatten diese authentische, einfühlsame Art, nach der wir gesucht hatten", erzählt Regisseur Dorian Lebherz im Interview mit der DW.
Gute Optik und gute Geschichten sind das Erfolgsrezept
Auch wenn der Film optisch wie ein offizieller Werbespot wirkt - die Studenten wurden nicht von der schottischen Whiskeymarke dazu beauftragt. Solche Spots, auch "Spec Ads" genannt, sind spekulative Werbefilme, die dem Portfolio der Studenten beigefügt werden. Die studentischen Filmemacher berichten aber, dass sich der Whiskeyhersteller schon bei dem Team gemeldet hat. "Wir machen die Filme für uns selbst und nehmen attraktive Marken, hinter deren Botschaft wir auch stehen", sagt Produzentin Madlen Folk im Interview. Die Studenten entschieden sich aufgrund des offiziellen Werbe-Slogan "Keep Walking", das Video zu drehen.
Die Idee zum Film hatten die beiden Regisseure Dorian Lebherz und Daniel Titz
"Unser Credo lautet 'Storytelling mit guten Bildern'. Der Werbung tut es gut, wenn Geschichten erzählt werden", sagt Lebherz. Doch welche Rolle spielt das Thema Tod für ihren Clip? "Der Zuschauer empfindet genau wie der Darsteller, daher ist die Wendung auch gut nachzuempfinden. Das Thema Tod und Familie versteht jeder", sagt der Filmstudent.
Warum das Video so gut geklickt wird? Jungregisseur Lebherz ist sich sicher: "Es passt zum Augenblick." Die Weihnachtszeit sei die richtige Zeit für Emotionen und die Stimmung, die der Film erzählt. "Persönlich bin ich sehr stolz auf den Film. Er ist klickstark, ohne provokativ zu sein, ist authentisch und ernst gemeint. Es geht uns mehr um die Message als um die Marke", so Lebherz.
Werbung im Wandel
Doch wie kann es sein, dass sich Werbe-Clips immer häufiger ästhetisch verändern und aufwendigen Kurzfilmen gleichen? Dorian Lebherz hat eine Vermutung: "Früher wurde offensichtlicher Werbung gemacht, man hat Leute gezeigt, wie sie das Produkt benutzen. Heutzutage entwickelt sich Werbung in eine filmische Richtung. Es wird immer mehr auf Storytelling und Emotionen gesetzt." Genauso wie sich Filme im Laufe der Jahre veränderten und aufwendiger wurden, verändern sich auch Werbung und Werbestrategien. Emotionen werden heute anders erzeugt. Oder: Wann verursachte ein Werbespot für Whiskey schon mal eine solche Gänsehaut?