Ein neues Kapitel für Amerikas Ureinwohner?
3. Januar 2019Nordamerikas Ureinwohner waren in der Geschichte der USA kaum in den Parlamenten vertreten. Sie zählen zu den am meisten ausgegrenzten Gruppen im Land. Auf Bundesebene gibt es jetzt im Repräsentantenhaus zwei Abgeordnete, die sich als Indigene verstehen - im Senat sitzt keiner.
Nun, bei der Konstituierung des neuen Kongresses, nehmen also erstmals Ureinwohnerinnen Platz: Sharice Davids und Deb Haaland haben Geschichte geschrieben, als sie im vergangenen November bei den Zwischen-Wahlen als erste US-Ureinwohnerinnen in das Repräsentantenhaus gewählt wurden. Sie gehören auch zu der hohen Zahl von Frauen, die überhaupt bei diesen Wahlen antraten und gewonnen haben. Die US-Medien bezeichneten sie als "rosa Welle".
"In der Wahlnacht habe ich mit ihnen gefiebert", sagt Ruth Buffalo. Sie gehört dem Stamm der Mandan, Hidatsa und Arikara Nation in North-Dakota an - und ist selbst Teil der "rosa Welle". Als erste Ureinwohnerin wird sie dem Parlament von North-Dakota angehören, nachdem sich die Demokratin bei der Wahl gegen den republikanischen Amtsinhaber durchgesetzt hatte. "Das ist so aufregend, dass wir nun vertreten sind, auf Augenhöhe mit der Regierung des Bundesstaates", jubelt Buffalo.
"Die Vereinigten Staaten gibt es seit mehr als 200 Jahren, die Ureinwohner waren schon vorher hier. Und nun endlich bekommen wir unsere ersten zwei Abgeordneten", sagt die 29-jährige Samantha Nephew, Aktivistin für die Ureinwohner und Lehrerin aus Buffalo im Bundesstaat New York.
Nephew gehört zum Stamm Seneca Nation und hatte ihrerseits erwogen, für ein politisches Amt zu kandidieren. "Das ist noch nicht vom Tisch", sagt sie. "Und jetzt zu wissen, dass es da Frauen gibt, die aussehen wie ich oder meine Schwestern, ist toll", sagt Nephew mit Blick auf die Wahlsiege von Davids und Haaland
Eine Geschichte der Gewalt
Indigene Frauen waren und sind immer wieder Gewalt und Ausgrenzungen ausgesetzt. Laut der Amerikanischen Bürgerrechtsunion ACLU wurden seit 2010 mindestens 500 Ureinwohnerinnen ermordet oder verschleppt. Und dies sind nur die bekannten Fälle. "Es gibt hier keine wirkliche Gerechtigkeit", so Nephew. "Wenn ihnen keiner Aufmerksamkeit schenkt, fallen sie einfach durchs Raster."
Amerikanische Ureinwohner und Inuits aus Alaska sind kleine ethnische Gruppen, die in der Geschichte systematisch von ihrem Land vertrieben, versklavt und getötet wurden. Überdies waren sie immer wieder Rechtsbrüchen ausgesetzt, etwa durch nicht eingehaltene Regierungsverträge.
Bis heute, meint Nephew, werden die politischen Interessen der Stämme entweder über einen Kamm geschert oder gleich komplett übersehen. Da sei es ein Wunder, wenn sich Ureinwohner überhaupt noch dafür entschieden, sich an der US-Politik zu beteiligen.
Nephew berichtet, sie habe während des Midterm-Wahlkampfs Ureinwohner getroffen, die ihr sagten, sie wollten nicht zur Wahl gehen, aus all diesen Gründen. "Aber so unkorrekt diese Regierung auch ist, nach all dem, was meinem Volk und meinen Vorfahren passiert ist - am Ende des Tages betrifft mich diese Politik. Ich mag das System nicht. Aber das heißt nicht, dass ich nicht darin leben muss."
"Die Stämme haben gelernt, mit dem System umzugehen", sagt Mark Carter, Anwalt am Institut für Rassen-Gerechtigkeit der ACLU und selbst Angehöriger des Potawatomi-Stamms in Oklahoma. Carter ist gut mit Sharice Davids befreundet, seiner Mitbewohnerin während des gemeinsamen Jura-Studiums. "Ich denke, die Stämme verstehen es, das Recht für sich zu nutzen und die Regierung zu ihren Gunsten zu beeinflussen.
Sorge vor Heilserwartungen
Haaland und Davids werden eine knifflige Balance halten müssen zwischen der Vertretung ihrer Wahlkreise und der Erwartung, den Ureinwohnerinnen im gesamten Land ein Gesicht zu geben. Sie sind nur zwei von hunderttausenden Ureinwohnern und vertreten nur zwei Wahlkreise in den Vereinigten Staaten. Die politische Agenda der amerikanischen Ureinwohner aber reicht von Streitigkeiten um das Umweltrecht bis zu Problemen mit Gewalt gegen Frauen.
Carter warnt vor überzogenen Hoffnungen, was Haaland und Davids tatsächlich für die Ureinwohner erreichen können. Er kennt Sharice Davids als leidenschaftliche Kämpferin für die Rechte von Minderheiten, erwartet von ihr aber keine Wunder im Kongress.
"Der Kongress", so Carter, "ist sehr komplex." Man solle nun nicht davon ausgehen, dass Ureinwohner-Themen plötzlich in den Fokus rücken oder gar durchgewinkt werden. "Aber ich denke, ihre beiden Stimmen werden gehört werden", sagt Carter.
"Als ich aufgewachsen bin, hatten wir keinerlei Vertretung", erklärt Buffalo. "Ich bin eine indigene Frau, im Reservat groß geworden. Und jetzt sehe ich, wie zwei Frauen mit ähnlichem Hintergrund in den Kongress gewählt werden. Das ist großartig."
Auch für Nephew ist die bloße Anwesenheit von Haaland und Davids in den Kongress-Hallen ein Riesenschritt nach vorn. "Sie werden uns im öffentlichen Bewusstsein halten. Mit Frauen wie ihnen werden die Ureinwohner allgemein besser integriert werden."