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Nach dem EU-Gipfel

Torsten Schäfer26. Juni 2007

Nach dem EU-Gipfel wird der Ruf nach einem Kerneuropa lauter, in dem Länder kooperieren können, ohne von anderen blockiert zu werden. In einigen Politikfeldern ist ein Europa der zwei Geschwindigkeiten längst Realität.

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Hand vor EU-Flagge, Quelle: AP
Griff nach den Sternen? Die EU blockiert sich selbst, wie der Brüsseler Gipfel gezeigt hatBild: AP

In den Tagen nach dem Brüsseler Gipfel ist das Lob groß für EU-Ratspräsidentin Angela Merkel. Doch macht sich auch Ärger darüber breit, mit welcher Chuzpe Staaten wie Polen und Großbritannien ihre Interessen vertreten und den Entwurf für den EU-Verfassungsvertrag zerfleddert haben. Der italienische Ministerpräsident Romano Prodi, selbst glühender Europäer und früher EU-Kommissionspräsident, kocht vor Wut. Tief enttäuscht sei er von der Einigung, ließ er unverhohlen wissen.

Dann sprach Prodi das laut aus, was viele seiner Kollegen denken, aber aus diplomatischen Gründen nicht thematisieren wollen. Denn schließlich soll die EU nach außen hin ja eine Einheit sein, die gemeinsam vorangeht. Europa brauche zwei Geschwindigkeiten und müsse sich teilen, machte Prodi hingegen deutlich. Staaten, die mehr wollen, müssten ungehindert voranschreiten können. Kurz darauf stieß Luxemburgs Premier Juncker ins gleiche Horn. Prodis Vorstoß beschrieb die Situation auf dem Gipfel: In der EU sind die Interessensunterschiede zu massiv, um Großprojekte auf den Weg zu bringen. Eine kleine Minderheit kann vorschreiben, was geht – notfalls bis zum letzten Detail, wie der Streit um Fahne, Hymne oder den unverfänglichen Titel "Außenminister" gezeigt hat.

"Kerneuropa" und das Schäuble-Lamers-Papier

Prodis Vorschlag ist nicht neu. Die Idee des "Kerneuropa" haben Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und der CDU-Außenpolitiker Karl Lamers 1994 im Schäuble-Lamers-Papier formuliert. "Ein Kern von integrationswilligen Staaten schreitet voran. Ihr Erfolg entfaltet eine Sogwirkung auf andere Staaten, die später nachziehen", erklärt Lamers. Neben Deutschland und Frankreich seien Italien, Spanien und Luxemburg Länder, die EU-Vorreiter sein könnten. Auch Irland, Finnland, Belgien und Österreich würden in wirtschaftlichen Fragen voraus denken.

Der CDU-Außenpolitiker Karl Lamers
Vordenker: Der CDU-Außenpolitiker Karl LamersBild: Bundestag

Geht ein Staatenkern voran, driftet Europa freilich ein Stück auseinander. Doch offenbar lassen sich nur so Fortschritte erzielen. "In der EU gibt es starke nationale Egoismen. Daher ist die Möglichkeit zu einem Europa der zwei Geschwindigkeiten angesichts der Zahl von 27 Mitgliedstaaten nötig, um die europäische Integration voranzutreiben", sagt Lüder Gerken, Direktor des Centrums für Europäische Politik. Vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik müsse es vorangehen, wenn die EU kommenden Mächten wie Indien und China begegnen wolle, so Gerken.

Unterschiedliche Geschwindigkeiten längst Realität

In einigen Politikfeldern der EU sind unterschiedliche Geschwindigkeiten längst Realität. Denn immer wieder bleiben Staaten stehen, wenn andere vorangehen. Großbritannien unterschrieb das Sozialprotokoll 1993 nicht, das Arbeitnehmerrechte in der EU festschrieb. Freiwillig blieben London, Stockholm und Kopenhagen dem Euro fern. Und dem Schengen-Raum, der freies Reisen erlaubt, traten zunächst nicht alle Staaten bei. "Andere kamen hinzu, als sie sahen, dass es funktionierte. So wird es auch beim Euro sein", sagt Lamers.

Die Grundrechtecharta ist auch kein Projekt aller Staaten: London hat in Brüssel erwirkt, dass sie nicht das britische Recht erfasst. Das europäische Haus ist voller solcher Notausgänge: Zahlreiche Richtlinien, etwa in der Umweltpolitik, enthalten Ausnahmeregelungen, weil sie nur für bestimmte Staaten gelten.

Instrument der verstärkten Zusammenarbeit wird ausgebaut

Donwing Street, London, Sitz des englischen Premierministers. Quelle: AP
Donwing Street, London: Wenn die EU vorankommen soll, wird hier oft die Bremse gezogenBild: AP

Für europafreundliche Staaten soll es mit dem neuen EU-Vertrag einfacher werden, vorzupreschen: Das Instrument der verstärkten Zusammenarbeit, das einer Staatengruppe die Kooperation in bestimmten Politikfeldern erlaubt, wird ausgebaut. Der Zwang zu einstimmigen Entscheidungen wurde hier für viele Bereiche aufgehoben.

"Die EU-Staaten werden nun häufiger Gebrauch von der verstärkten Zusammenarbeit machen", sagt Canan Atilgan, EU-Koordinatorin der Konrad-Adenauer-Stiftung. Vor allem bei Themen wie polizeiliche Zusammenarbeit und Datenaustausch bestehe Bedarf, da hier einige Länder deutlich mehr erreichen wollten als andere.

Durch den EU-Vertrag ist die verstärkte Zusammenarbeit auch in der Außen- und Sicherheitspolitik möglich. Theoretisch zumindest. Faktisch wird die Möglichkeit dazu aber verhindert, weil nun einstimmige Entscheidungen nötig sind. "Dieses Erfordernis ist höchst problematisch", sagt Lüder Gerken. Somit wird der Aufbau einer EU-Verteidigungspolitik mit eigener Armee so schwierig bleiben wie bisher, was insbesondere die Kaczynskis wurmen dürfte. 2006 warben ausgerechnet die Warschauer Zwillingsregenten heftig für eine EU-Streitmacht. In Brüssel haben sich die Chancen also nicht gerade verbessert, dass Polen bald eine europäische Verteidigungsavantgarde anführt. Das liegt an den vertraglichen Hürden zur verstärkten Zusammenarbeit. Und an der Art der Brüder, mit anderen Staaten Politik zu machen.