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Getrennte Blicke auf gemeinsame Geschichte

Anastassia Boutsko24. November 2015

Obwohl es eigentlich eine sein sollte, laufen in Berlin und Moskau parallel zwei Ausstellungen. Aber abgesehen vom Titel "Russland und Deutschland. Von der "Konfrontation zur Zusammenarbeit" gibt es wenig Gemeinsames.

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Ausstellung "Russland und Deutschland" (Foto: Martin-Gropius-Bau)
Bild: DW/A. Smirnov

"Es kommt selten vor, dass die Entstehungsgeschichte einer Ausstellung für sich genommen schon viel über die historische Entwicklung erzählt, der sie gewidmet ist", hieß es diplomatisch bei der Eröffnung der Ausstellung "Russland und Deutschland. Von der Konfrontation zur Zusammenarbeit" am 10. November in Moskau. Tatsächlich war die Arbeit an dem Projekt ein "von Fortschritten und Rückschlägen geprägtes Ringen um eine Annäherung".

Vor drei Jahren, als die Ausstellung geplant wurde, sah die Welt noch ganz anders aus. Das Ausstellungsprojekt sollte sich am bewährten Format der "Moskau-Berlin"-Ausstellungen orientieren und anlässlich des 70. Jahrestages des Kriegsendes den Weg würdigen, den die ehemaligen Feinde gemeinsam beschritten haben. Von der deutschen Seite waren das deutsch-russische Museum Berlin-Karlshorst und das Bundesarchiv federführend, in Russland koordinierte das nationale Staatsarchiv ("GARF") das Projekt. Die Annäherung beider Archivinstitute war auch deswegen bedeutend, weil in diversen GARF-Filialen zahlreiche deutsche "kriegsbedingt verbrachte" Archivalien lagern.

Dann jedoch kam es zur Annexion der Halbinsel Krim, zur Ukraine-Krise und zu den Sanktionen gegen Russland. Mehrfach stand das Projekt auf der Kippe. Schlussendlich sind anstelle einer gemeinsamen Ausstellung eben zwei Expositionen entstanden, die sich, jede auf ihre Art, der Kritik stellen müssen.

Ausstellung "Russland und Deutschland" (Foto: Jörg Carstensen/dpa +++(c) dpa - Bildfunk)
Komplizierte Beziehungen - Bilder aus der deutsch-russischen Geschichte der vergangenen 70 JahreBild: picture-alliance/dpa/J. Carstensen

Berlin: Versuch einer Gratwanderung

Die ursprüngliche Idee des deutsch-russischen Historikerteams bestand darin, die wechselvolle Geschichte der sieben Nachkriegsjahrzehnte mit ihren Höhen und Tiefen anhand von neun Knotenpunkten zu erzählen und mit historischen Dokumenten zu illustrieren: von der Kapitulation der Wehrmacht im Mai 1945 über die Gründung zweier deutscher Staaten 1949, dem Mauerbau 1961, der Unterzeichnung des KSZE-Vertrages 1975 bis hin zur "strategischen Partnerschaft", die von dem Tandem Putin-Schröder 2005 ausgerufen wurde. Danach wurde der Weg holpriger, so dass man sich als Abschlussstation auf die Rede einigte, die der russische Schriftsteller Daniil Granin, ein Überlebender der Blockade Leningrads, am 27. Januar 2014 im Deutschen Bundestag gehalten hatte.

Ausstellung "Russland und Deutschland" (Foto: Jörg Carstensen/dpa )
Die Ausstellung in Berlin setzt auf die InteraktivitätBild: picture-alliance/dpa/J. Carstensen

Über die Deutung aktuellerer Ereignisse konnten sich die Partner nicht einigen, so dass man diesen Zeitabschnitt gänzlich aussparte. Das brachte der Berliner Ausstellung, die noch bis zum 13. Dezember im Gropius-Bau läuft, einige Kritik ein.

Dennoch erzählt die Berliner Schau mit über 200 historischen Dokumenten und Fotografien die spannende Geschichte des ständig zwischen Nähe und Distanz oszillierenden deutsch-russischen Verhältnisses.

Die meist digitalen oder als Faksimile-Kopien präsentierten Dokumente ermöglichen dem interessierten Besucher Einblicke in die Untiefen der Realpolitik: Da ist ein etwa 16-seitiges Protokoll einer Unterredung zwischen Nikita Chruschtschow und Walter Ulbricht. Ulbricht berichtet in unterwürfigem Ton von der schlechten Kartoffelernte (Chruschtschow: "Daran ist bestimmt die Kirche schuld!"), schimpft dann über den Kanzlerkandidaten Willy Brandt, der ja "schlimmer als Adenauer" sei. Schließlich wird Ulbricht beauftragt, die DDR-Grenze "im Interesse der sozialistischen Länder" zu schließen. Wenig später kommt es zum Bau der Berliner Mauer.

Ausstellung "Von der Konfrontation zur Zusammenarbeit" Moskau (Foto: Anastassia Boutsko)
"Soldaten der Volksarmee der DDR geben sowjetischen Soldaten Anleitungen zum Schießen mit Maschinengewehr"Bild: DW/A. Boutsko

Moskau: Anspruch auf Deutungshoheit

Als die Ausstellung am 10. November mit gleichem Titel in Moskau eröffnet wurde, betraten die deutschen Ausstellungsmacher die Exposition als Gäste und nicht ganz ohne Besorgnis – tatsächlich mussten sie feststellen, dass vom Konzept der Wegmarken kaum was übrig geblieben war.

Ein roter Zeitstrahl an der Wand führt durch die Schau und suggeriert einen ungebrochenen Aufstieg zur beschworenen "Zusammenarbeit". Die Ausstellung ist an prominentem Ort im ehemaligen Lenin-Museum, einer Filiale des Historischen Museums direkt am Roten Platz untergebracht. Mit 330 Exponaten ist sie um einiges üppiger ausgestattet als die Ausstellung in Berlin, allerdings auch viel konventioneller: Da, wo man in Berlin blättern muss, steht man in Moskau vor einem eingerahmten Original. Dies, so der russische Kurator Wladimir Tarasow, entspräche mehr den Erwartungen des russischen Besuchers. Außerdem würden die Originale "emotional stärker" wirken.

Ausstellung "Von der Konfrontation zur Zusammenarbeit" Moskau (Foto: Anastassia Boutsko)
"Mit vorzüglicher Hochachtung, Josef Stalin"Bild: DW/A. Boutsko

Das mag zutreffend sein, doch steckt der Teufel in den Details der Hängung: irgendwo zwischen Bildern lächelnder Waisenkinder und Dokumenten zur Lebensmittelversorgung in der sowjetischen Besatzungszone stößt man auf eine rote Paraphe von Josef Stalin: Nach mehrfacher Nachfrage von Otto Grotewohl gewährt der Diktator den "guten Deutschen" einen Erlass der Reparationszahlungen. Vor dem Hintergrund des derzeit wiederaufblühenden Stalin-Kults in Russland macht diese Auswahl stutzig.

Omnipräsent ist die DDR in der Moskauer Exposition: Möbel, Teddys, Nippes und Kleidung "Made in GDR" waren in der Sowjetunion begehrte Trophäen, viele Moskauer erinnern sich gut an die Stunden, die sie in den Schlangen vor dem DDR-"Universalmagazin" "Leipzig" verbracht haben. In Moskau stellt der raumfüllende Glaskasten den emotionalen und visuellen Höhepunkt der Schau dar. Daneben läuft unkommentiert eine Schleife aus der "Aktuellen Kamera". Das "andere Deutschland", die Bundesrepublik, ist viel bescheidener repräsentiert - etwa mit dem Vertrag über das Erdgas-Röhren-Geschäft aus dem Jahr 1970.

Ausstellung "Von der Konfrontation zur Zusammenarbeit" Moskau (Foto: Anastassia Boutsko)
Von Teddy bis Kinderwagen: DDR-Alltagsgegenstände in MoskauBild: DW/A. Boutsko

"Das ist normal: Schließlich waren die Beziehungen zur DDR viel intensiver, als zu Westdeutschland", meint der russische Ausstellungsmacher Wladimir Tarasow. "Die russische Seite hat schon sehr früh begonnen, zu mahnen: 'Vergesst die DDR nicht!'" – erinnert sich der deutsche Projektleiter Jörg Morré, Direktor des Museums Berlin-Karlshorst. Mit den deutschen Partnern wurde diese Korrektur jedoch "leider nicht abgesprochen".

Sicherlich wäre es aufschlussreich, beide Ausstellungen nebeneinander zu sehen. Stattdessen werden die an beiden Standorten bestehenden Geschichtsbilder reproduziert. Ein konstruktiver, wenn auch kontroverser Austausch findet nicht statt und einem zähen Dialogversuch von Berlin weicht Moskau mit einer Darstellung seiner eigenen Version der Geschichte aus.