Zweifel am Afghanistan-Einsatz wachsen
19. April 2010Kanzlerin Angela Merkel wird am Donnerstag im Bundestag eine Regierungserklärung zu Afghanistan abgeben, wie Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) am Montag (19.04.2010) im ZDF ankündigte. Sie werde deutlich machen, dass die Regierung hinter dem Bundeswehr-Einsatz stehe und das Konzept richtig sei, die Verantwortung für die Sicherheit ab 2011 zu übergeben. "Der Preis ist fürchterlich", räumte er mit Blick auf den verlustreichen Einsatz ein. Die Kanzlerin wolle bei ihrer Regierungserklärung nochmals deutlich machen, "dass wir die Arbeit unserer Soldaten in Afghanistan außerordentlich wertschätzen".
SPD zweifelt: "So schnell wie möglich raus"
Der designierte Vorsitzende der Linkspartei, Klaus Ernst, meinte hingegen, die Strategie sei gescheitert. Auch in der SPD wachsen die Zweifel. Am Wochenende hatten Mecklenburg- Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) und Schleswig- Holsteins SPD-Landeschef Ralf Stegner den Abzug gefordert. "Wir müssen so schnell wie möglich raus", sagte Stegner "Spiegel Online": "Je früher, desto besser. Die militärische Logik geht nicht auf." Der SPD-Bundestagabgeordnete Ottmar Schreiner sagte der "Süddeutschen Zeitung: "Wenn sich bis nächstes Jahr nicht einiges verbessert hat, sehe ich nicht, woher die Mehrheit für eine neue Verlängerung des Mandats kommen soll", sagte Schreiner mit Blick auf seine eigene Fraktion.
Im Februar hatten die SPD-Abgeordneten dem neuen Mandat mehrheitlich zugestimmt. SPD-Chef Sigmar Gabriel verlangte nun sogar ein neues. Die erstmalige Bezeichnung des Afghanistan-Einsatzes als "Krieg" durch den Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg verändere nämlich die Voraussetzungen für die Interventionen der Bundeswehr in Afghanistan.
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin forderte eine Überprüfung des Afghanistan-Einsatzes durch eine Experten-Kommission. "Wir brauchen eine Bewertung dieses Afghanistan-Einsatzes von unabhängiger Seite."
Westerwelle: Kein kopfloser Abzug
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hingegen lehnt einen "kopflosen Abzug aus Afghanistan" ab. "Denn es geht darum, dass wir hier nicht Opfer von Anschlägen werden", sagte er in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin". Als Beispiel führte er die vereitelten Anschläge der sogenannten Sauerlandgruppe an.
Der Kommandeur der deutschen Truppen in Afghanistan, Brigadegeneral Frank Leidenberger, bekräftigte, dass an dem Einsatz festgehalten werde. "Es bleibt dabei: Wir geben nicht klein bei. Wir werden weiter kämpfen. Und wir werden gewinnen", sagte Leidenberger bei der Trauerfeier für die gefallenen Soldaten in Masar-i-Scharif.
"Stategisches Ziel der Taliban"
Bundeswehr-Generalinspekteur Volker Wieker warnte davor, sich in der Diskussion von den Anschlägen beeinflussen zu lassen. Der Gegner wolle genau dies: "Eine öffentliche Debatte in Deutschland, deren Dramaturgie er durch Zeit, Ort und Wahl der Mittel" bestimmen könne", sagte Wieker. Die Taliban sähen es als "strategisches Ziel", den Rückhalt der Soldaten in der Heimat und die politische Entschlossenheit von Regierung und Parlament zu schmälern.
Merkel macht Afghanistan-Einsatz zur Chefsache
Bundeskanzlerin Merkel gab nun auch bekannt an der Trauerfeier für die vier in der vergangenen Woche getöteten deutschen Soldaten teilzunehmen. Damit bekommt der Afghanistan-Einsatz eine neue Qualität, Merkel macht ihn zur Chefsache. Die Opfer waren am vergangenen Donnerstag in der nordafghanischen Provinz Baghlan durch die Explosion einer Sprengfalle sowie durch Raketenbeschuss getötet worden.
Bereits am Sonntag haben die Soldaten der Internationalen Schutztruppe ISAF im Lager Masar-i-Scharif Abschied von den vier Kameraden genommen. Die Särge wurden am Sonntag zum Stützpunkt Termes in Usbekistan geflogen. Ein Weitertransport in die Heimat ist erst möglich, wenn der Luftraum über Europa wieder für den Flugverkehr geöffnet wird. Die Trauerfeier in Deutschland soll voraussichtlich am Freitag in Süddeutschland stattfinden. Ort und Zeitpunkt blieben noch unklar.
Autoren: Oliver Samson / Sina Schlimmer (dpa, rtr, afp)
Redaktion: Martin Schrader / Herbert Peckmann