Feuertod in Zelle
12. November 2013Es sei eine einfache Rechnung, sagt Brandgutachter Maksim Smirnou. "Wir wissen, wie groß der Raum war, welches Volumen die Matratze hatte und somit, wie viel Energie freigesetzt werden konnte." Der aus Weißrussland stammende Mann analysiert nach eigenen Angaben seit zehn Jahren Brandfälle. Im November 2012 begann er sich mit dem Fall Oury Jallohs zu beschäftigen. Der Asylbewerber war am 7. Januar 2005 unter ominösen Bedingungen im Polizeigewahrsam gestorben. "Es gab eine vollständig verbrannte Matratze und eine Leiche mit sehr tiefgehenden Verbrennungen", sagt Smirnou. Er hat die Ergebnisse seiner Versuche in einem Gutachten zusammengefasst, das jetzt in Berlin vorgestellt wurde. Das Resultat veranlasste die Initiative Gedenken an Oury Jalloh (IOJ) beim Generalsbundesanwalt in Karlsruhe Strafanzeige einzureichen. Die Gruppe sieht schwerwiegende Hinweise auf Mord oder Totschlag. Die Inititative hatte die Umstände des Todes von Jalloh gemeinsam mit Smirnou nachgestellt.
Hinweise auf Knochenbruch
"Der Fall Oury Jalloh ist bereits zwei Mal vor Gericht verhandelt worden. Der aus Sierra Leone stammende Asylbewerber, so die offizielle Darstellung, soll die schwer entflammbare Matratze in seiner Zelle in Dessau, im Bundesland Sachsen-Anhalt, mit einem Feuerzeug entzündet haben und in den Flammen gestorben sein. Dabei war er mit Handschellen an das Bett gefesselt und stark alkoholisiert.
Eine zweite Obduktion, die nicht in den Prozess Eingang fand, wies Brüche des Siebbeins, der Knochen unterhalb der Augenhöhlen, nach. Im Dezember 2012 wurde ein Polizist vom Landgericht Magdeburg wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Die Strafe belief sich auf 10.800 Euro. Kritiker bemängeln vorurteilsgeleitete und vertuschende Ermittlungen der Behörden und nachträglich aufgetauchte Beweismittel. "Wir wollen den Fall für uns abschließen und Gerechtigkeit, deswegen machen wir weiter", sagte Mouctar Bah von IOJ. "Wenn sich in einem fairen Prozess herausstellt, er war es selbst, dann ist das auch ein Ergebnis."
Brennende Schweineteile
Das neue Verfahren könnte durch das von IOJ initiierte Gutachten möglicherweise angestoßen werden. In einem Videobeitrag dokumentierten die Aktivisten das Vorgehen von Smirnou. Dieser hatte in Irland einen Blechverschlag aufgebaut, deren Raummaß in etwa dem der Zelle Jallohs entsprach. Darin befand sich eine Matratze, auf der ein in Kleidungsstücke gehülltes totes Schwein lag. "Das ist ein gängiges Vorgehen bei Brandbeurteilungen, weil die inneren Organe und besonders die Haut des Schweins dem Menschen ähnelt", erklärt Smirnou. In verschiedenen Durchläufen wurde die Matratze angesteckt. Danach wurden die Schäden an Schwein, Kleidung und Unterlage sowie die Partikelverteilung im Rest des Raumes gemessen und beurteilt. "Wir haben dafür Technik aus Deutschland verwendet."
Nachdenklicher Staatsanwalt
Die Ergebnisse sind für den Experten recht eindeutig. "Es gab im Blut keine Spuren von Carboxyhemoglobin und gleichzeitig eine erhöhte Konzentration von Zyaniden", stellt Smirmou fest. Es hätte, so lege es die Fachliteratur nahe, ein schneller Tod durch hohe Temperatur erfolgen müssen, denn sonst hätte es Hinweise auf eine Rauchvergiftung geben müssen, auch die Zyanide entstehen erst ab einer bestimmten Temperatur. "Ohne Brandbeschleuniger ist der in der Zelle Jallohs vorgefundene Zustand kaum vorstellbar", urteilt Smirnou. Erst bei einem Versuch, bei dem fünf Liter Benzin auf die Schweinehälfte und die Matratze gegossen und entzündet worden sind, konnten Schäden nachgestellt werden, wie sie auch im Fall Jallohs beobachtet worden seien.
Sichtlich beeindruckt zeigte sich Folker Bittmann von der zuständigen Staatsanwaltschaft Dessau über die neuen Erkenntnisse des Brandgutachters. "Ich wusste nicht, mit was wir hier konfrontiert werden." Bittmann wollte kurz nach der Präsentation des Gutachtens keine konkreten Aussagen über das weitere Vorgehen der Staatsanwaltschaft treffen, vielleicht bedürfe es neuer Gutachten, so der Leitende Staatsanwalt. Bislang habe er diesen Aufklärungsbedarf nicht gesehen. "Das ist jetzt anders!"