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Vor der Fed-Entscheidung

Andreas Rostek-Buetti15. September 2015

Noch im August waren sich die meisten Ökonomen sicher, dass die US-Notenbank zum ersten Mal seit fast einem Jahrzehnt den Leitzins anheben wird. Doch mittlerweile gibt es Zweifel.

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Janet Yellen
Bild: picture-alliance/dpa

Am Donnerstag wird in Washington eine ältere Dame vor die Presse treten und zu einer Rede ansetzen, die Ökonomen weltweit schon jetzt für historisch halten wollen. Die Chefin der Federal Reserve, der US-Notenbank Fed, wird sich zum US-Leitzins äußern. Das ist aber auch alles, was derzeit sicher ist. Was Janet Yellen (Foto) sagen wird, darüber sind die Meinungen geteilt wie selten.

Worum geht es eigentlich?

Die Frage ist, ob der US-Leitzins erhöht wird oder nicht. Der Leitzins gilt den Banken eines Landes als entscheidende Kennziffer für die Höhe der Zinsen, für die sie Geld von der Zentralbank bekommen – und wiederrum Geld an ihre Kunden ausleihen. Davon hängen dann Investitionen und Konsumausgaben ab.

Der Fed-Leitzins ist aber etwas Besonderes. Er ist eine Signalmarke auch für Anleger, Unternehmer und Banker. Wird er verändert, verändern sich die Spielregeln für die Wirtschaft weltweit. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) stellte in diesem Monat trocken fest: "Die kurz- und langfristigen Zinssätze in den USA beeinflussen die entsprechenden Zinsen in anderen Ländern beträchtlich.“

Das Besondere der aktuellen Situation: Seit 2008 ist der US-Leitzins auf einem historisch niedrigen Stand, irgendwo zwischen null und 0,25 Prozent. Mit dem Schritt bekämpfte die Fed die Folgen der Finanzkrise. Fast zehn Jahre ist es her, dass die US-Zentralbank ihren Leitzins einmal angehoben hat. Nun hatte Fed-Chefin Yellen allerdings schon im Juli vor dem US-Kongress angekündigt, die Niedrigzins-Phase gehe bald zu Ende.

Nur, was heißt "bald"?

In diesem Jahr gibt es noch zwei Gelegenheiten für die Fed, ihren Worten Taten folgen zu lassen: an diesem Donnerstag und Mitte Dezember.

Die Schar der Ökonomen ist glatt gespalten in der Einschätzung, ob der Leitzins schon in dieser Woche steigen wird oder später im Jahr. "Die Chancen stehen 50 zu 50", urteilt Paul Ashworth von der Finanzberatungsfirma Capital Economics.

Der Grund ist simpel und kompliziert zugleich: Noch niemals gab es eine solch lange Phase mit derart niedrigen Leitzinsen. Es fehlen also schlicht die Erfahrungen, um einschätzen zu können, was passieren wird, wenn der Hebel auf einmal wieder umgestellt wird. Gleichzeitig aber benimmt sich die wirtschaftliche Wirklichkeit seit einiger Zeit anders, als es die Lehrbücher vorsehen.

Inflation oder Deflation?

Mit den Leitzinsen wollen die Zentralbanken Preis- und Währungsstabilität steuern und schauen dabei vor allem auf den Arbeitsmarkt. Bisher funktionierte das grob gezeichnet so: Ist die Arbeitslosigkeit im Land hoch, sinken Löhne und Preise, und Inflation droht nicht, eher das Gegenteil – Zeit also, die Leitzinsen zu senken, um die Wirtschaft anzukurbeln. Sinkt die Arbeitslosigkeit, steigen Löhne und Preise laut Lehrbuch, und Inflation ist ein akutes Thema – eine Erhöhung der Leitzinsen kann da gegensteuern.

Ganz anders die Wirklichkeit der letzten Jahre. Der britische “Economist“ diagnostiziert ein “befremdliches Verhalten der amerikanischen Wirtschaft seit der Finanzkrise“: So lag die US-Arbeitslosenrate zum Beispiel 2009 bei immerhin zehn Prozent – die Preise aber stiegen unverdrossen. Die jüngsten Arbeitsmarktdaten zeigen nur noch rund fünf Prozent Arbeitslosigkeit – die Inflation aber ist verschwunden. Bei gerade 0,3 Prozent Preissteigerung befürchten Ökonomen eher eine Deflation.

Und nun soll die Fed die Zinsen anheben?

Die warnenden Stimmen mehren sich denn auch. Der frühere US-Finanzminister Larry Summers gehört dazu: “Zinssteigerungen in der näheren Zukunft wären ein ernster Fehler, der den drei zentralen Zielen der Fed zuwiderlaufen würde: Preisstabilität, Vollbeschäftigung und Finanzstabilität“, schrieb Summers schon im August in der "Financial Times".

Ins gleiche Horn bliesen Weltbank und Internationaler Währungsfonds noch in der letzten Woche. Immer wieder warnen die Chefvolkswirte der beiden Institute, die Schwellenländer würden ins Straucheln kommen, weil zu viel Kapital abgezogen würde.

"Die Angst geht um"

Ganz schwarz sieht der Volkswirt Henrik Müller im deutschen “Spiegel“: “Die Angst geht um, die Welt insgesamt könnte in eine Deflationsfalle gesaugt werden - ein dauerhaftes Sinken der Preise, verbunden mit Massenarbeitslosigkeit, Pleiten und womöglich sozialen Unruhen.“

Dennoch sehen Experten eine Anzahl guter Gründe für die Fed, die Zinsen doch zu erhöhen. Der Leitzins ist das wichtigste Instrument einer Zentralbank, auf Krisen zu reagieren. Liegt der Zins schon bei Null, fehlt den Währungshütern dieses Instrument. Und das, während aus China neue Krisenwolken aufziehen. Durch den Nullzins strömt zudem sehr viel billiges Geld in die Märkte; das kann Spekulanten zu riskanten Geschäften verleiten – scheitern die, können ganze Volkswirtschaften taumeln.

Jedenfalls würden Janet Yellen und ihre Kollegen von der Fed mit einer Zinserhöhung deutlich machen: Die Zentralbank findet, die schwerste Finanzkrise der letzten 80 Jahre sei nun überwunden. Zurück zur Normalität, wäre dann das Motto. Und Normalität heißt: sinkende und steigende Leitzinsen – je nach Bedarf.

Und der Zeitpunkt für den historischen Schritt? "Einen guten Zeitpunkt für Zinserhöhungen gibt es genauso wenig wie für einen Zahnarztbesuch", meinte unlängst der Chefökonom der Deutschen Bank, David Folkerts-Landau, in der Zeitung "Die Welt". "Aber auf die lange Bank schieben dürfte in beiden Fällen zu Schmerzen führen."