Geflohen: Ukrainische Christen in Deutschland
21. April 2022"Unsere Gemeinden haben sich bei den Gottesdiensten mehr als verdoppelt." Bohdan Luka ist ukrainischer Geistlicher in Sachsen, Priester der "Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche" (UGKK). Am vorigen Wochenende feierte er drei Oster-Gottesdienste in drei Gemeinden, nachmittags in Halle an der Saale, abends in Chemnitz, frühmorgens in Dresden. "Die Feiern, sagt er, "waren brechend voll". Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine und der Flucht Hunderttausender suchen immer mehr Menschen in Deutschland die Gottesdienste auf.
Ostern, sagt er, "dieses Fest steht für die Hoffnung, dass sich doch alles zum Guten wendet, auch wenn alles hoffnungslos aussieht." Angesichts der schrecklichen Bilder aus der Kampfregion sprach er darüber in seinen Predigten am Wochenende. Über die Trauer und Hoffnungslosigkeit der Jünger, über die Not der Frauen, die laut dem biblischen Bericht zum Grab Jesu wollten. "Wissen Sie, wir Ukrainer sind eigentlich sehr hoffnungsvolle Menschen."
Osterbrote mit hoher Symbolik
Am nächsten Wochenende wird Bohdan Luka erneut österliche Texte vorlesen und die Osterbrote der Gläubigen segnen. Zwei Mal Ostern - das ist ungewöhnlich. Aber mit den Geflüchteten kommen auch andere Traditionen nach Deutschland. Denn die eingesessenen UGKK-Gemeinden in Deutschland richten sich mit ihrem Oster-Termin zum überwiegenden Teil nach den christlichen Kirchen des Landes, Katholiken und Protestanten, und ihrem westlichen Kalender.
In der Ukraine selbst feiern die Kirchen jedoch nach dem Kalender der östlichen Tradition und der Orthodoxie Ostern. Und da steht das höchste Fest der Christenheit in diesem Jahr erst am kommenden Wochenende an.
"Ich sehe da keinen Widerspruch", erläutert Luka. Die Flüchtlinge seien auf die neue Situation nicht vorbereitet, für sie sei in diesem Jahr der 24. April der Ostersonntag. Und deshalb werde er auch an diesem Tag zu Ostern sprechen und Osterbrote segnen. "Dieser Segen der Brote hat ganz hohe symbolische Bedeutung. Die Menschen nehmen das Brot zur Familienfeier mit nach Hause." Und zum zweiten Mal rechnet Luka mit vollen Kirchen.
"Es werden immer mehr"
Wie viele Gläubige in Deutschland nun zu seiner Gemeinde und seiner Kirche gehören, weiß Luka nicht. Und das wissen auch die Verantwortlichen nicht. Bis Ende Februar, dem Beginn des Krieges in der Ukraine, war offiziell stets von insgesamt knapp 80.000 die Rede. "Diese Zahl kann man heute ruhig verdoppeln. Oder mehr", sagt Andriy Dmytryk der Deutschen Welle. Und sie werde gewiss weiter steigen. Das Christentum ist weit verbreitet in der Ukraine, vor dem Krieg gehörten allein rund fünf Millionen Menschen der ukrainisch-griechisch-katholischen Kirche an.
Dmytryk ist Kanzler der UGKK-Exarchie, die Deutschland und Skandinavien umfasst. Im Grunde ist der Kanzler der wichtigste Mitarbeiter des Bischofs, die Exarchie entspricht einem großen Bistum. Dazu zählen in Deutschland bislang Gemeinden an rund 50 Orten, von Hamburg bis Rosenheim, von Krefeld bis Görlitz, und eben auch Dresden, Chemnitz, Halle an der Saale.
Die Aufzählung dieser Standorte ist längst überholt. "Das Bild verändert sich jede Woche, jeden Moment", sagt Dmytryk. Als Beispiel nennt er Rostock im Nordosten Deutschlands. Dort hätten vor dem Krieg höchstens 40 bis 50 Gläubige zur Gemeinde gezählt. Heute kündigten sich 160 Personen zum Gottesdienst an.
Immer unterwegs zu Gläubigen
Und, so der Kanzler weiter, fast aus jedem Landkreis, aus jeder Stadt in Deutschland meldeten sich mittlerweile ukrainische Gläubige. Als Beispiel nennt er Neumarkt in der Oberpfalz, südöstlich von Nürnberg. Dort gebe es bisher gar kein seelsorgerliches Angebot für Ukrainer. Nun seien dort 300 Christen ukrainischer Sprache und hofften auf einen österlichen Gottesdienst.
Bundesweit hat die Exarchie 22 Geistliche. Für sie bedeutet das Oster-Stress. So wie für Andrii Khymchuk. Der ukrainische Geistliche (das Titelbild zeigt ihn bei der Segnung nach einem Gottesdienst) ist seit langem für die Gemeinden in Bamberg, Würzburg und Nürnberg zuständig. "Jedes Wochenende bin ich 360 Kilometer unterwegs. Ganz ehrlich: Das ist schwierig", erzählt der 35-Jährige. In Würzburg, seiner kleinsten Gemeinde, wo sonst nur 20 Beter zum Gottesdienst kämen, seien es am Wochenende über 100 Personen gewesen. Anfang des Monats habe er zu einem Gottesdienst in Nürnberg 600 Gläubige begrüßt. Sechshundert. Eine solche Zahl kannte er von früher nicht. Und nun hätten sich Ukrainer aus Ansbach gemeldet, wo es nie ein Angebot seiner Kirche gab. Dort seien 120 Christen und hofften auf einen Oster-Gottesdienst. Auch Khymchuk feiert an zwei Terminen Ostern. "Das ist vertretbar", sagt er.
Alle Konfessionen
Egal, ob Luka in Halle oder Khymchuk in Bamberg oder andere Geistliche im Westen Deutschlands. Sie begrüßen zu ihren Feiern Gläubige aller christlichen Konfessionen. "Da kommen nicht nur griechisch-katholische Ukrainer, sondern auch Orthodoxe und Protestanten", sagt Khymchuk. Sie alle hofften auf seelsorgerliche Unterstützung, in ukrainischer oder auch russischer Sprache. Bei den Texten, Gesängen, Bräuchen gebe es keine großen Unterschiede.
Kanzler Dmytryk kennt das. "Für die Menschen aus der Ukraine ist es vor allem wichtig, dass man sie aufnimmt, dass der Pfarrer freundlich ist und ihnen zuhört, dass er die Sorge um den Mann oder Verwandte in der Heimat teilt." Als Mitarbeiter des Bischofs plagt Dmytryk eine andere Frage. Die 22 Priester reichten längst nicht mehr aus. Denn Flüchtlinge, die verunsichert oder auch vom Kriegsgeschehen traumatisiert seien, suchten Gespräche mit den Geistlichen.
Kaffee und Vernetzung
Das beginne, sagt Andrii Khymchuk in Bamberg, schon beim Kaffee und Kuchen nach dem Gottesdienst. "Die Menschen lernen einander kennen, sprechen sich Mut zu, vernetzen sich. Sie erfahren, wo sie eventuell staatliche Unterstützung bekommen."
Und sie können auf konkrete Hilfen der jeweiligen Kirchengemeinde hoffen. An allen rund 50 Standorten, die die UGKK bereits vor dem Krieg in Deutschland hatte, sammelten sie seit Ende Februar Hilfsgüter. Viele Dutzend Lastwagen und Sattelschlepper rollten nach Osten. Sie brachten hunderte Tonnen Nahrungsmittel, Kleidung, Medizingüter in die Krisenregion.
Nun gehe noch etwa die Hälfte der Sachspenden auf die Reise, die andere komme Neuankömmlingen in den Gemeinden zugute. Khymchuk: "Die Menschen hier brauchen jetzt nicht nur unsere seelsorgerliche Begleitung, sondern auch materielle Hilfe. Sie haben ja fast nichts mehr."